CD REINHOLD GLIÈRE, DMITRI SHOSTAKOVICH: Streichoktette, REYNALDO HAHN Klavierquintett – Cavi-music
Normalerweise ist der Ort einer Aufnahme Beiwerk. Außer es handelt sich um Live-Mitschnitte, die im Rahmen von Konzerten (eines Festivals) entstanden sind. Da spielt der Genius loci als auch das Ideengewand eine Rolle über die üblichen PR-Notizen hinaus. Die nunmehr auf CD präsentierten rar gespielten französisch-russischen Kammermusikwerke wurden im Rahmen des Kammermusikfestes „SPANNUNGEN: Musik im innogy-Kraftwerk Heimbach“ 2018 aufgenommen. Nach der Idee des künstlerischen Leiters Lars Vogt dieser „Bürgerinitiative für Kammermusik“ (Norbert Ely) erzeugen Spannungen nicht nur den Strom, der üblicherweise am Aufführungsort produziert wird, sondern auch programmatisch geht es solcherart zu. Vom Barock bis hin zu neuester Musik (eine Uraufführung jährlich) spannen natürlich auch bekannte und geliebte Werke den Bogen. „Gegensätze mit aufregenden Wechselwirkungen zwischen der Architektur des Wasserkraftwerks und der malerischen Umgebung“ samt Musik. So treffen einander jährlich erstklassige Musiker für eine Woche zu kammermusikalischen Erkundung und Konzerten in idyllisch-elektrischer Atmosphäre.
Die auf der CD festgehaltenen Ausschnitte aus zwei Konzerten vom 19. und 24. Juni 2018 wurden nicht von international fix zusammengeschweißten Ensembles gespielt. Vielmehr hören wir bei Glières Streichoktett in D-Dur Op. 5 aus dem Jahr 1903 Byol Kang, Yura Lee, Gergana Gergova, Florian Donderer Violine, Hanna Weinmeister, Timothy Ridout Viola sowie Tanja Tetzlaff und Alban Gerhardt Celli. Das Klavierquintett in fis-Moll von Reynaldo Hahn (1923) eint Artur Pizarro Klavier, Anna Reszniak, Elisabeth Kufferath Violine, Yura Lee Viola und Gustav Ravinius Cello. Für die Zwei Stücke für Streichoktett Op. 11 (1924/25) von Dmitri Shostakovich wiederum haben Florian Donderer, Byol Kang, Yura Lee, Gergana Gergova Violine, Tatjana Masurenko, Hanna Weinmeister Viola sowie Alban Gerhardt und Tanja Tetzlaff Celli auf der Bühne zusammengefunden.
Das kompositorisch ergiebigste und auch längste Stück des Albums ist das Klavierquintett Reynaldo Hahns, Studienkollege von Maurice Ravel am Pariser Konservatorium und Schüler von Jules Massenet. Da schwelgen die Musiker in spätromantischer Emphase mit jauchzendem Strahlen. Man sieht sie förmlich ausgelassen mit dem Hut schwingen und zwischendurch (Andante, non troppo lento) auch mal wolkenverhangen innehalten. Ein Sprühstoß Faurésches Parfum darf auch nicht fehlen. Die Musik wirkt auf das Gemüt, als wär‘s eine prachtvoll vergilbte Ansichtskarte eines platanengesäumten Stadtplatzes in der Provence, voller Eleganz, Würde und melancholischem Stolz, wo junge Leute voller Energie herumtollen und so einen äußerst lebendigen Farbklecks setzen. Der Freund und Lebenspartner von Marcel Proust ist da neben seinem bekannteren Liedschaffen oder den vor Witz sprühenden Operetten (Brummel, Ciboulette) neu zu entdecken.
Das knapp fünf-minütige Scherzo für Streichoktett des erst 19-jährigen Studenten Shostakovich setzt dazu den wohl maximalen Kontrast. Pedro Obiera hält dazu klug im Booklet fest „Der irrwitzig überdrehte Satz mit seinen burlesken Verrenkungen bildet den Nährboden für die bizarren Geschwind-Scherzi, die Shostakovich später als satirische Geheimwaffen gegen Stalin in seinen großen Orchesterwerken einsetzen sollte.“
Die Musiker gehen in bester Festspiellaune engagiert in die Volle. Interpretatorisch wird das kulinarische Soufflé moderat gewürzt serviert.
Empfehlung: Weitere Mitschnitte vom Kammermusikfestival „SPANNUNGEN: Musik im innogy-Kraftwerk Heimbach“ 2018
Alexander Borodin und Pjotr Iljitch Tchaikovsky Streichquartette Nr. 2 mit Byol Kang, Anna Reszniak, Antje Weithaas, Barbara Buntrock, Julian Steckel, Timothy Ridout, Tanja Tetzlaff
Dr. Ingobert Waltenberger