CD REINHARD KEISER „ULYSSES“ – Musicalisches Schauspiel in 3 Akten – ANTONIUS ADAMSKE dirigiert das Göttinger Barockorchester; Coviello Classics
Live-Mitschnitt aus dem Theater Nienburg vom Oktober 2021
Wir ehren dein Verdienst, du Züchtling der Natur, der, suchtest du gleich nicht der Kunst verdeckte Spur, dennoch der größte Geist zu seiner Zeit gewesen.“ Telemann
Ein bewegtes Leben hatte er, dieser Reinhard Keiser. Vielleicht war er zu seiner Zeit dieses große maßgebliche Genie, der „Vater der deutschen Melodie“, als der er benannt und gefeiert wurde. Als Komponist beeinflusst er sicherlich Mattheson und Händel, Telemann verfasst nach dessen Tod sogar ein launisches Sonett. Sein Wirken in Hamburg als Organist, unermüdlicher Lieferant von Opern für das Opernhaus am Gänsemarkt, für einige Jahre zudem als Intendant, und ab 1728 als Kantor am Hamburger Dom, ist Legende.
Sohn einer alleinerziehenden Mutter (der Vater, Organist von Teuchern, lässt die Familie im Jahr seiner Geburt im Stich), begann Reinhard mit elf Jahren in der Thomasschule in Leipzig zu studieren. Die nächsten Stationen des Thomaskantors waren das Opernhaus am Hagenmarkt von Braunschweig – wo er zum Cammer-Componisten avancierte – und vier Jahre später Hamburg. Später versuchte er, allerdings nicht dauerhaft erfolgreich, in Stuttgart und Kopenhagen künstlerisch Fuß zu fassen.
Nicht nur als Komponist war Keiser innovativ und ein geschickter Rezeptor aller Strömungen der Zeit, auch als Organisator hinterließ er Spuren, die bis heute nachwirken. In seinen Winterkonzerten wurde das Publikum nebst der Musik auch kulinarisch anspruchsvoll verwöhnt.
An die 100 Opern soll er geschrieben haben, 30 davon sind erhalten. Auf Schallplatte hat vor allem René Jacobs Gesamteinspielung von „Croesus“ Furore gemacht. Aber auch die Labels cpo und Naxos sind rührig bemüht, nicht nur das Opernschaffen Keisers wieder einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. „Fredegunda“ oder „Pomona“ sind zwei der auf CD erhältlichen Opern, aber auch Oratorien und Passionsmusiken sind für Tonträger im Kasten.
„Ulysses“ wurde für den Geburtstag des dänischen Königs Friedrich IV. 1722 geschrieben, der sich eher als Feldherr denn als kunstsinniger Mäzen einen Namen gemacht hat. Das auf einem Text von Lesner basierende Werk, obwohl musikalisch in der Hamburger Tradition der typisch italienisch-deutschen Hybridmodelle und als Bühnenvehikel im Stil der französischen Maschinenstücke mit prunkvollen Kostümen angedacht (Vorbild für zweiteres war wohl die Ulysses Komposition des französischen Geigers Jean-Féry Rebel), musste an die Verhältnisse der finanziell und bescheiden ausgestatteten Kopenhagener Bühne angepasst werden. Also erleben wir in Ulysses zwar Jupiter, aber weder Juno noch Pallas, wie sie in der französischen Heldenoper üblich waren. Dafür wurde neben den die unverbrüchliche „Treue“ des dänischen Königspaars spiegelnden Protagonisten Ulysses und Penelope mit Cephalia und Eurilochus ein zweites Liebespaar installiert und wir finden mit dem Diener Arpax eine populär-komische Figur vor.
Sonst haben wir es inhaltlich mit dem üblichen barocken Schnickschnack zu tun. Ulysses kommt vom Trojanischen Krieg nach Hause und oh Wunder, Penelope liegt immer noch alleine in ihrem Bett. Das ärgert Urilas sehr, der bei Penelope nicht landen konnte und daher mit der Zauberin Circe, die wiederum bei Ulysses abblitzt, gemeinsame Sache macht. Aber weder dunkle Zauberkünste, höllische Geister, das magische Schwert noch allerlei mörderische Intrigen können – ein kleines Eingreifen des Gottes Mercurius sei nicht verschwiegen – am eisernen Zusammenhalt von Ulysses und Penelope was ändern. Der Schluss kann dementsprechend alle Atouts von barockem Tugendideal und Herrscherkult brennpunktgleich fokussieren: „Es lebe Friedrich, der Vater in dem Lande, und seine Königin, die sich so gnädig zeigt: Beyde blühen ewiglich, weil ihm niemand an Verstande, niemand Ihr an Treue gleicht.“
Mag im Vergleich zu Paris weniger Bühnentechnik vorhanden gewesen sein, spielt sich dafür im Orchestergraben so einiges ab. Nicht weniger als vier Trompeten und Paukengetöse sieht die pompöse Ouvertüre vor, weil Keiser auf das königliche Militärtrompeterkorps zurückgreifen konnte. Ansonsten hören wir verspielt virtuose Arien, Duette, Ballettmusiken und Chöre.
Antonius Adamske animiert das Göttinger Barockorchester zu feierlich hymnischem Spiel. Schlank tänzerisch, mit Schwung und Mut bestehen Ulysses und seine Penelope ihre schweren Prüfungen. Der kleine Chor und ein gestaltungsfreudiges Ensemble (Bogna Bernagiewicz, Francisca Prudencio, Gerald Thompson, Markus Brutscher, Goetz Philipp Körner, Jürgen Orelly, Janno Scheller) sorgen für vergnügliche und kurzweilige zweieinhalb Stunden Musik. Auf Textverständlichkeit, vokale und orchestrale Expressivität wurde spürbar großer Wert gelegt.
Eine erfreuliche Repertoire-Erweiterung im noch immer unterbelichteten Genre der deutschen Barockoper.
Dr. Ingobert Waltenberger