Rachmaninow trifft Prokofjew: Eine pianistische Gratwanderung zwischen Tragik und Ironie
„Rachmaninow und Prokofjew eröffnen mit ihren Konzerten dem Pianisten zwei unterschiedliche Wege zum Gipfel der Kunst“, sagt Josu de Solaun über seine jüngste Aufnahme bei IBS Classical. „Das eine ist eine spirituelle, tiefgründige und tragische Reise, das andere ein makabrer Tanz zwischen Ironie und Verzweiflung.“ De Solaun, zweifacher Gewinner der International Classical Music Awards, hat sich für diese Aufnahme mit dem Orquesta Sinfónica de Castilla y León unter der Leitung von Isabel Rubio zusammengetan. Die Kombination aus technischem Können, poetischer Vision und interpretatorischer Aussage verspricht eine Erkundung zweier besonderer Klavierkonzerte, wie man sie nur selten hört: Sergej Rachmaninows drittes Klavierkonzert und Serge Prokofjews zweites Klavierkonzert.
Josu de Solaun, ein Pianist, Komponist und Dichter mit doppelter Staatsbürgerschaft (Spanien und USA), hat sich längst als visionärer Interpret etabliert. Seine Vielseitigkeit reicht von Solo-Improvisationen bis hin zur Publikation eigener Kompositionen. Mit dieser Aufnahme bestätigt er seinen Ruf als Pianist von nahezu grenzenloser Fantasie.
Das Orquesta Sinfónica de Castilla y León, eine der führenden Klangkörper Spaniens, genießt nicht nur durch seine Künstlerresidenzen, sondern auch durch seine klangliche Flexibilität und dynamische Präzision großes Ansehen. Die Dirigentin Isabel Rubio, eine aufstrebende Persönlichkeit in der spanischen Musiklandschaft, bringt als erfahrene Musikerin eine bemerkenswerte Balance aus Klarheit, Sensibilität und Ausdruckskraft mit.
Das dritte Klavierkonzert Rachmaninows gilt als eines der technisch und emotional anspruchsvollsten Werke seines Genres. De Solaun und Rubio nähern sich diesem Mount Everest der Klavierliteratur mit einer Interpretation, die gleichermaßen von Virtuosität wie Introspektion geprägt ist. Von den ersten Takten an beeindruckt de Solaun mit einem einfühlsamen Spiel, das die melancholische Eleganz der Eröffnung bestechend einfängt. Die tänzerischen Passagen werden mit einer Leichtigkeit gestaltet, ohne die innere Spannung zu verlieren. Rubio führt das Orchester mit einem Gespür für Transparenz, sodass die orchestralen Farben die lyrischen Linien des Klaviers subtil umrahmen. Im Adagio zeigt de Solaun seine feine Gabe für klangliche Nuancen. Sein Anschlag wirkt fast flüsternd, wenn er die introspektiven Passagen des Satzes erkundet. Rubio lässt das Orchester dabei zurückhaltend agieren und sorgt für einen fließenden Dialog zwischen Klavier und Orchester. Die emotionale Bandbreite des Satzes entfaltet sich hier in voller Intensität. Im furiosen Finale demonstriert de Solaun seine technische Brillanz und gleichzeitig eine bewundernswerte Klarheit im Spiel. Rubio führt das Orchester mit Präzision durch die komplexe Struktur des Satzes und bewahrt dabei die Energie bis zum triumphalen Schluss. De Solaun gestaltet dieses Werk mit großer Reife und einer feinen Balance zwischen emotionaler Wucht und technischer Leichtigkeit. Isabel Rubio am Pult erweist sich als ideale Partnerin, die das Orchester nie in den Vordergrund drängt, aber dennoch stets präsent ist. Besonders bemerkenswert ist die enge Verzahnung zwischen Solist und Dirigentin, die dieser Aufnahme eine seltene Homogenität verleiht.
Während Rachmaninows drittes Klavierkonzert von lyrischer Schönheit geprägt ist, konfrontiert Prokofjews Zweites den Hörer mit einem Werk voller Dunkelheit, Sarkasmus und musikalischer Radikalität. Die introspektive Melodie des Andantino entfaltet de Solaun mit subtiler Phrasierung, bevor der Satz in das wilde Allegretto übergeht. Hier offenbart sich seine Fähigkeit, explosive Virtuosität mit einem tiefen Sinn für Struktur zu vereinen. Isabel Rubio führt das Orchester durch die raschen Wechsel der Dynamik und verleiht der Musik eine greifbare Intensität. Das technisch atemberaubende Scherzo wird von de Solaun mit einer Präzision und Leichtigkeit gespielt, die förmlich den Atem raubt. Rubio hält das Orchester in einer pulsierenden, nahezu maschinellen Perfektion, ohne dabei die Ausdruckskraft zu opfern. Im dritten Satz demonstriert das Orchester seine außergewöhnliche klangliche Bandbreite. Die harschen Rhythmen und die düstere Grundstimmung entfalten sich unter Rubios Leitung mit schneidender Präzision. De Solaun bringt die groteske Ironie des Satzes mit beeindruckender Ausdruckskraft zur Geltung. Der stürmische Schluss des Konzerts wird von de Solaun mit einer unbändigen Energie vorgetragen. Rubio navigiert das Orchester mit Souveränität durch die dichte und oft chaotische Partitur und schafft eine packende musikalische Spannung bis zum letzten Takt. De Solaun gelingt es, die groteske Dramatik und die innere Zerrissenheit von Prokofjews Konzert in eine zusammenhängende, nahezu narrative Form zu bringen. Rubio und das Orquesta Sinfónica de Castilla y León setzen die musikalischen Kontraste mit einer Intensität um, die den Hörer in ihren Bann zieht.
Mit dieser Aufnahme gelingt Josu de Solaun eine außergewöhnliche Gegenüberstellung zweier klanglicher Welten: der lyrisch-melancholischen Tiefe Rachmaninows und der scharfkantigen Modernität Prokofjews. Isabel Rubio und das Orquesta Sinfónica de Castilla y León agieren als perfekte Partner, die den musikalischen Spannungsbogen in beiden Werken überzeugend gestalten. Diese CD ist nicht nur ein Beweis für de Solauns technische Brillanz, sondern auch für seine Fähigkeit, die Essenz dieser Konzerte in einer zutiefst persönlichen Interpretation einzufangen.
Dirk Schauß, im Dezember 2024
Sergej Rachmaninow
Klavierkonzert Nr. 3 d-moll Op. 30
Sergej Prokofiev
Klavierkonzert Nr. 2 c-moll Op. 16
Josu de Solaun, Klavier
Orquesta Sinfónica de Castilla y León
Isabel Rubio, musikalische Leitung
IBS, 162024