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CD „RACHMANINOFF 150“ BERLINER PHILHARMONIKER – KIRILL PETRENKO und KIRILL GERSTEIN: Klavierkonzert Nr. 2 in c-Moll, Op. 18; Berliner Philharmoniker Recordings

10.10.2023 | cd

CD „RACHMANINOFF 150“ BERLINER PHILHARMONIKER – KIRILL PETRENKO und KIRILL GERSTEIN: Klavierkonzert Nr. 2 in c-Moll, Op. 18; Berliner Philharmoniker Recordings

Live-Aufnahme aus der Waldbühne Berlin vom 25.6.2022 – Sergeij Rachmaninoff zum 150. Geburtstag

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Foto: Website Berliner Philharmoniker Recordings 

„In Rachmaninoffs musikalischen Schöpfungen kämpft nicht nur die Musik um den Erhalt ihrer kulturellen Identität, auch der Mensch kämpft um Erhaltung seiner selbst und darum, sich sein menschliches – vor allem menschliches – Maß zu bewahren.“ Maritta Schaginjan, russisch- armenische Dichterin, 1912

Es ist bereits Kirill Petrenkos zweite Einspielung des zweiten Klavierkonzerts des diesjährigen Jubilars Sergej Rachmaninoff. Im Mai 2008 hat er mit dem London Symphony Orchestra und dem kroatischen Pianisten Dejan Lazic eine in den Tempi breiter genommene und weniger kontrastreiche Aufnahme dieses 1901 in Moskau uraufgeführten Konzerts bei Channel Classics vorgelegt. Hat Lazic das Konzert um die „Moments Musicaux“ Op. 16 ergänzt, so präsentiert Kirill Gerstein auf dem neuen Album als Klavier Solo-Stücke die aus unterschiedlichen Schaffensperioden stammenden Kompositionen „Mélodie“ aus den ‚Morceaux de fantasie‘, Op. 3 (1892), „Liebesleid“ nach Fritz Kreislers Alt-Wiener-Tanzweisen, arr. vom Komponisten im Jahr 1921 sowie die 20 Variationen über ein Thema von Corelli samt Andante, Intermezzo und Coda Op. 42 (1931) sowie Gersteins Bearbeitung des Lieds „Im Schweigen der geheimnisvollen Nacht“ aus den Sechs Liedern Op. 4, uraufgeführt am 1.2.2023 im Berliner Pierre-Boulez-Saal.

Im nun veröffentlichten Live-Mitschnitt von der Berliner Waldbühne entfesselt Petrenko mit den in Festlaune aufspielenden Berliner Philharmonikern im ersten, jedoch zuletzt entstandenen Satz, dem sogenannten „Moderato“, einen Wirbelsturm an in vorwärts drängender konzertierender Textur aufschäumenden disparaten Gefühlsbädern. Der erzählerische Diskurs ist bestimmt von in den musikalischen Fluss integrierten, kraftvoll-dynamischen Kontrasten und subtilen Temporückungen.

Die von Rebecca Mitchell im Booklet so intensiv herausgearbeitete, unversöhnliche Widersprüchlichkeit des Komponisten als Künstler und als Mensch im Gegensatz zum romantisch pathetisch verklärten Bild des unglücklich Exilierten, das sich lange und hartnäckig hielt und hält, soll eine neue Sicht auf das Oeuvre Rachmaninoffs erlauben.

Der stolze Aristokrat, technikaffin, lässt sich auch als „typischer Vertreter der Moderne verstehen.“ Der dritte Satz, das „Allegro scherzando“, das mit einem Zitat aus Rachmaninoffs Chorwerk „O Theodokos, immer wachend im Gebet“ überrascht, beginnt mit einem vom Klavier imitierten Glockengeläute, das in seiner jazzig-glitzernden Lautmalerei nicht nur goldene Kirchenkuppeln, sondern auch das lebendige Getriebe einer Großstadt à la Gershwin imitieren könnte. Nach an Tchaikovsky erinnernden Harmonien enden der Satz und damit das Werk in pompösem C-Dur, hoffnungslaut und voller jauchzendem Überschwang. Wie die Berliner Philharmoniker und Gerstein diesen tuschenden Schluss in Euphorie kulminieren lassen, ist nichts weniger als ereignisreich. Ein Höhepunkt in der Rachmaninov-Diskographie.

Das „Adagio sostenuto“ mit seinem Zitat aus Rachmaninoffs Romanze für Klavier zu sechs Händen suggeriert eine gefühlvolle Reminiszenz an Rachmaninoffs Jugendliebe Vera Skalon. Es gilt zu Recht als Inbegriff romantischer Träumerei und Schwärmerei, was auch vom Gespann Petrenko Gerstein nicht anders interpretiert wird.

Bei diesem Konzertmitschnitt stimmt einfach alles: Tiefe Emotion im Grundton straffen Musizierens, betörende klangliche Schönheit und Brillanz von Orchester und Flügel, virtuos-poetische Meisterschaft des Pianisten, eine eingeschworene musikalische Partnerschaft von Dirigenten und Pianisten.

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Foto: Website Berliner Philharmoniker Recordings 

Kirill Gerstein begeistert zudem mit den am 6.2.2023 in der Philharmonie Berlin aufgenommenen Solo-Stücken. Besonders in den 1931 entstandenen und uraufgeführten „Corelli-Variationen“ bietet Gerstein ganz eigene und eigentümliche pianistische Perspektiven durch drastische Temposchürzungen an, wo die Töne plötzlich zauberisch wie Sternenregen niederprasseln. Von der Ausdrucksdichte und den beschworenen Stimmungen her hinterlassen diese fantastischen „Corelli-Variationen“ einen ähnlich bestechenden und klangbildlich sprechenden Eindruck wie Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“.

Historisch geht die gemeinsame Geschichte der Berliner Philharmoniker und des Komponisten auf das Jahr 1903 zurück. Den Anfang machte das zweite Klavierkonzert, dem 1908 mit diesem Werk der philharmonische Einstand des Pianisten Rachmaninov folgte. Kirill Gerstein debütierte 2016 ebenso mit diesem Konzert bei den Berliner Philharmonikern.

Die hochwertige Edition ist mit einem hoch informativen 76-seitigen Booklet verknüpft (Winterfotos von Thomas Struth).

Videotrailer https://www.youtube.com/watch?v=4oJCxQx_Gxk

Fazit: Ein Album für die einsame Insel.

Dr. Ingobert Waltenberger

Fotos: Website Berliner Philharmoniker Recordings 

 

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