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CD/Pure Audio Blu-ray: IGOR STRAVINSKY „LE SACRE DU PRINTEMPS“ – LOS ANGELES PHILHARMONIC; ESA PEKKA-SALONEN; live Mitschnitt aus der Walt Disney Concert Hall 2006; Deutsche Grammophon  

Igor Stravinsky zum 50. Todestag

18.04.2021 | cd

CD/Pure Audio Blu-ray: IGOR STRAVINSKY „LE SACRE DU PRINTEMPS“ – LOS ANGELES PHILHARMONIC; ESA PEKKA-SALONEN; live Mitschnitt aus der Walt Disney Concert Hall 2006; Deutsche Grammophon

 

Igor Stravinsky zum 50. Todestag

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Igor Stravinsky wird nächstes Jahr seinen 140. Geburtstag begehen. Am 6. April 1971 verstarb einer der originellsten und kraftvollsten Neutöner des 20. Jahrhunderts in New York. Anlass genug, auf ihn mit einer denkwürdigen CD zu seinem 50. Todestag aufmerksam zu machen. Natürlich gibt es die großen Veröffentlichungen der Giganten: Die Deutsche Grammophon hat mit 30 CDs (Werke in einer Edition inkl. des verschollenen geglaubten Werks „Chant funebre“) die umfangreichste Neu-Edition am Markt, gefolgt von Warner mit 23 CDs. DECCA widmet eine neue 10 CD-Box den Stravinsky Aufnahmen von Riccardo Chailly und Sony bündelt ebenfalls die Aufnahmen eines einzigen Dirigenten unter dem Titel „Bernstein conducts Stravinsky“.

 

Wer mit einem einzigen neuen Album aus meiner Sicht die bestmögliche Interpretation des wichtigsten Werks von Igor Stravinsky hören möchte, dem sei die Wiederauflage des legendären Konzerts aus der Walt Disney Concert Hall unter der musikalischen Leitung von Esa Pekka-Salonen vom Jänner 2006 empfohlen. Für Pekka-Salonen war es die zweite Aufnahme. Schon 1990 hatte der ganz junge Dirigent mit seiner Einspielung des „Le Sacre du Printemps“ mit dem Philharmonia Orchestra (CBS (heute Sony) für Furore gesorgt. Natürlich ganz anderer Art als desjenigen Furors, der an jenem legendären 29. Mai 1913 herrschte, als Pierre Monteux anlässlich der Uraufführung im Théâtre des Champ- Elysées das Werk vor einer wütend aufgebrachten, hohnlachenden Menge zu Ende dirigieren musste. 

 

Aber auch zur vorliegenden Einspielung gibt es eine schöne Anekdote, die der Verlag folgendermaßen erzählt: „Die Vorgeschichte ihrer Einspielung beginnt 1938 mit einer an Igor Stravinsky gerichteten Anfrage der Walt Disney Studios, die berühmte Ballettmusik für den Animationsfilm „Fantasia“ nutzen zu dürfen. Auch Geld wurde dem Komponisten geboten; so weit, so fair. Doch zugleich wies man darauf hin, dass die Partitur – im Original veröffentlicht in Russland – in den USA nicht dem Urheberrechtsschutz unterliege. Mit anderen Worten: Whatever you do, Mister Stravinsky, wir nutzen Ihre Musik für unseren Film auf jeden Fall. Stravinsky willigte zähneknirschend ein und musste nun hinnehmen, dass das Werk von Dirigent Leopold Stokowski für die Filmfassung auf kaum mehr als die Hälfte seines Umfangs zusammengestrichen wurde. Die Musik wurde schließlich zur Untermalung der Dinosaurier-Episode von „Fantasia“ eingesetzt. Stravinsky zog seine Konsequenzen aus dieser Ohnmachtserfahrung: Er überarbeitete die Orchestrierungen seiner früheren Ballette und sicherte sich damit das US-amerikanische Urheberrecht an seinen Werken.“

 

65 Jahre später: Bei der Eröffnungsgala der von Disney-Witwe Lillian gestifteten und von Stararchitekt Frank Gehry entworfenen Walt Disney Concert Hall im Oktober 2003 präsentierten Esa Pekka-Salonen und das Los Angeles Philharmonic das „Frühlingsopfer“ in der vollständigen und revidierten Werkfassung von 1947. 

 

Anders als am Eröffnungsabend kombinierte Esa Pekka-Salonen beim mitgeschnittenen Konzert vom Jänner 2006 Stravinskys „Le Sacre du Printemps“ mit Modest Mussorgskys symphonischer Dichtung „Eine Nacht auf dem kahlen Berge” (ebenfalls ein Stück, das Walt Disney für seinen Film „Fantasia“ verwendete) und der Suite „Der wunderbare Mandarin“ von Béla Bártok. Auch Bartóks Tanzpantomime war anfangs heftig umstritten und wurde nach der Kölner Premiere im Jahr 1926 von deutschen Behörden gleich einmal verboten. Die Konzertsuite stellte Bártok zwei Jahre später für Budapest zusammen. 

 

Esa Pekka-Salonen ist diesem Repertoire der klassischen Moderne ein großartiger Anwalt. Der damalige Chefdirigent des Los Angels Philharmonic, der sich vehement für den Neubau der wunderschönen „Disney“-Konzerthalle einsetzte, konnte für das Aufnahme-Projekt die grandiose Akustik des Saals nutzen. In der jetzt wiederveröffentlichten, auf dem neuesten Stand der Technik restaurierten Version – das Album wartet mit einer herkömmlichen CD und einer Pure Audio Blu-ray Disc auf, aus denen der Hörer wählen kann – können alle Tugenden der Interpretation dank der brillanten Klangtechnik bis ins kleinste Detail klar nachvollzogen werden. 

 

Pekka-Salonen hat das Los Angeles Philharmonic in seiner Zeit als Music Director 1992 bis 2009 zu einem Spitzenklangkörper geformt. Mit einem ungeheuren Drang zur Perfektion, einer luziden und vollkommenen Transparenz des Klangs, der gerade den „wildesten“ Partituren zugutekommt und einer reichen dynamischen Bandbreite, die völlig kammermusikalisch, intim empfundenen Piani die volle Wucht der symphonisch rhythmisch ausgeklügelten Entladungen gegenüberstellt, gelingen Wiedergaben, die es dem Publikum ermöglichen,  seinen Pfad durch das komplexe Geflecht an Stimmen zu finden. 

 

Dazu gesellt sich Pekka-Salonens Gespür für Dramatik und anschauliche theatralische Effekte. Dieser „Sacre ist nicht von esoterischer Naturerfahrung angehaucht, sondern beschreibt die ganze ungeschminkte Brutalität, aber auch archaische Kraft des Balletts im heidnischen Russland, wo eine Jungfrau dem Frühlingsgott zur Versöhnung geopfert wird. Stravinsky kommentiert den Sinn seiner Komposition so: „Im ‚Sacre du Printemps‘ wollte ich die leuchtende Auferstehung der Natur schildern, die zu neuem Leben erweckt wird, die Auferstehung der ganzen Welt.“ Die Musik setzt dazu die Akzente, reflektiert aber auch aller widerstreitenden Emotionen, die mit dem Sujet verbunden sind. 

 

Das Album ist nicht zuletzt auch wegen der audiophilen Qualität meine persönliche Empfehlung zum aktuellen Stravinsky-Jubiläum. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

 

 

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