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CD: PUCCINI: LE WILLIS – Opera-Ballett in einem Akt (Urfassung 1884); Opera Rara

09.10.2019 | cd

CD PUCCINI: LE WILLIS – Opera-Ballett in einem Akt (Urfassung 1884); Opera Rara

 

Zu erzählen ist von einem 25-jährigen angehenden Komponisten, Schüler von Amilcare Ponchielli, einem grandios verlorenen Operneinakter-Wettbewerb des Edoardo Sonzogno (Opernzeitung „Il teatro illustrato“) und einer gloriosen privaten Aufführungen von Puccinis Opernerstling Le Willis.  Der ausgelobte Preis von 2.000 Lire ging wohl an andere. Ob hier, wie vom Puccini Biograph Michele Girardi insinuiert, der Verleger Ricordi zusammen mit Ponchielli eine Intrige starteten, um den jungen Spund unter die eigene Ägide zu bringen oder Puccini lediglich einen nicht fertig orchestrierten Torso (keine Reinschrift) ablieferte, diese Fragen taugen als romaneske Nebengleise der Geschichte. 

 

Auf jeden Fall schrieb der junge mittellose, aber arbeitssame, noch schüchterne Tonsetzer – er bereitete sich 1883 am Mailänder Konservatorium auf seine letzten Prüfungen vor und litt an einer schmerzhaften Tonsillitis – auf Anhieb einen an melodiöser Eingebung, raffinierter Orchestrierung, sinfonischer Malerei, einer in weiten Phrasen gesponnenen musikalischen Syntax unter strenger formaler Kontrolle überaus meisterlichen Bühnenerstling. Mit dem Timing hat es Puccini hier allerdings noch nicht so recht. 

 

Auf ein Gruselgeschichten-Libretto von Ferdinando Fontana (nach Alphonse Karrs Kurzgeschichte Le Willis) gelang Puccini unter Wiederverwertung von teils schon vorhandenem Material zwar noch kein veristischer Reißer, sondern eher eine statische symphonische Kantate in zwei Teilen mit einem effektvollen Intermezzo Sinfonico. Die wichtigsten dramatischen Teile der gothic novel Handlung passieren nicht auf der Bühne, sondern sind als Vorausschau und Rückblende konzipiert.

 

Zwischen Schwarzwald und Mainz spielt sich die unglückliche Geschichte des verlobten Paars Anna und Roberto ab. Roberto betrügt Anna nicht nur vor der Heirat in Mainz, sondern lebt dort auch gleich mit der neuen Flamme zusammen. Anna stirbt an gebrochenem Herzen und verschmilzt ihre Seele mit anderen gleich fies behandelten, vor der Hochzeit verstorbenen Frauen zu einem Geisterwesen namens Willi. Die armen jungen Geschöpfe liegen nicht ruhig unter der Erde, sondern steigen um Mitternacht aus den Gräbern “und wehe dem jungen Menschen, der ihnen da begegnet! Er muss mit ihnen tanzen, sie umzingeln ihn mit ungezügelter Tobsucht, und er tanzt mit ihnen, ohne Ruh und Rast, bis er tot niederfällt.” (Heinrich Heine). So finden die Hallodris auf besonders theatertaugliche und grausame Art ihr Ende, wie wir das auch von Adolphe Adams Ballett “Giselle” kennen. In unserer Geschichte ist es der Vater Annas, Guglielmo, der die Willis in winterlicher Einsamkeit bittet, seine Tochter zu rächen. 

 

Die vorliegende Aufnahme mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter Sir Mark Elder widmet sich der einaktigen Urfassung von Le Willis, somit einer Plattenpremiere. Puccini hat das Werk einige Jahre später (1889) zu einer zweiaktigen Oper erweitert. Der Hörer hat aber auch Gelegenheit, drei Ausschnitte des nun „Le Villi“ genannten Musikdramas im Appendix auf ihre Qualitäten zu prüfen. Gesungen wird auf diesem in der Henry Wood Hall in London im November 2918 eingespielten Album gut bis sehr gut. 

 

Der albanischen Sopranistin Ermonela Jaho kommt mit ihrer lyrisch blühenden, jedoch schmalen Stimme als Anna die nicht leichte Aufgabe jeder Puccini Diva zu, zarteste Lyrismen mit Ausbrüchen vokaler und emotionaler Urgewalt zu einem runden Rollenporträt zu binden. Ähnlich wie Gheorghiu verfügt Jaho über ein luxuriöses Timbre, fantastische Legati, sie bleibt mit ihrer eng dimensionierten, kaum expansionsfähigen Stimme aber in den dramatischen Passagen allzu beschränkt. Bisweilen verfällt sie in ein flackerndes Vibrato, ihr Vortrag besticht dennoch durch Eleganz in der Phrasierung und eine hohe Musikalität.

 

Ihr untreuer Partner Robert, vom Umfang her die Hauptrolle der Oper, wird vom armenischen Tenor Arsen Soghomonyan mit rauchig dunklem Timbre kräftig und gefühlvoll zugleich gesungen. Wer wissen will, wie der erst jüngst (2017) auf Tenorrollen umgestiegene Mittdreißiger als Bariton geklungen hat, möge sich auf Youtube seine Interpretation der Kavatine des Figaro „Largo al factotum della città…“ aus Rossinis „Il barbiere di Siviglia“  anhören. Link: https://www.youtube.com/watch?v=v9YY1S4Mi8s . Jetzt stehen auf seinem Spielplan schon Verdis Otello, den er in der Berliner Philharmonie im April dieses Jahres unter Zubin Mehta mit Sonya Yoncheva und Luca Salsi als Partner höchst erfolgreich gesungen hat oder der José in Carmen. Mir gefällt diese Stimme ausnehmend gut. Soghomonyan beherrscht die leisen introvertierten, die schwärmerischen Töne, kann aber auch mit großer Robustheit exponierte Spitzentöne bewältigen und spielerisch auf hohen Orchesterwogen surfen. Als Dritter im Bunde überzeugt Brian Mullighan als Annas Vater Guglielmo Gulf mit seinem groß kalibrierten Bariton. 

 

Sir Mark Elder, eher Wagner denn Puccini geeicht,  dirigiert das wunderbar subtil die instrumentalen Details auskostende Royal Philharmonic Orchestra, der Opera Rara Chorus begnügt sich mit derben Einlagen. 

 

Referenzstudioeinspielung der zu “Le Villi” überarbeiteten, üppiger orchestrierten Version: Die ebenfalls in der Henry Wood Hall, im Juni 1979 entstandene Aufnahme mit der gigantischen Renata Scotto (eine der besten Puccini Sängerinnen ever), Placido Domingo am Höhepunkt seiner Möglichkeiten, Leo Nucci als Guglielmo und dem legendären Baritonveteran Tito Gobbi in der Sprechrolle des Narratore. Das National Philharmonic Orchestra wird dirigiert von Lorin Maazel. Eine der besten Puccini Aufnahmen, die ich kenne.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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