Ein musikalischer Dialog über die Zeiten hinweg
Mit der CD „Poema 1. Ad Astra“ präsentiert Alexander Shelley, Musikdirektor des Canada’s National Arts Centre Orchestra, eine Aufnahme, die Vergangenheit und Gegenwart auf innovative Weise miteinander verbindet. Im Mittelpunkt steht die Idee eines musikalischen Dialogs: Werke des deutschen Komponisten Richard Strauss treffen auf zeitgenössische Kompositionen von Kelly-Marie Murphy und Kevin Lau, die sich direkt auf die Strauss-Stücke beziehen. Das Konzept dieser Reihe ist gleichermaßen faszinierend wie anspruchsvoll, und die hier vorgelegte erste Ausgabe überzeugt durch ihre künstlerische und klangliche Umsetzung.
Der Auftakt gehört Strauss’ berühmtem symphonischen Gedicht „Don Juan, Op. 20“, einem Werk, das durch seine leidenschaftliche Intensität und orchestrale Virtuosität besticht. Alexander Shelley und das Canada’s National Arts Centre Orchestra entfalten diese Musik mit Präzision und Lebendigkeit. Die Streicher setzen die berühmten aufbrausenden Themen mit elektrisierender Energie um, während die Bläser durch strahlende Soli glänzen. Einzig das Schlagzeug wirkt zu distanziert und klanglich etwas diffus. Shelley versteht es, die dramatischen Kontraste des Werks wirkungsvoll herauszuarbeiten: von den rauschhaften Ausbrüchen der Lebenslust bis zu den melancholischen Zwischentönen. Besonders beeindruckend ist dabei die Detailtreue, mit der das Orchester die komplexe Partitur meistert, ohne dabei den emotionalen Kern aus den Augen zu verlieren.
Kelly-Marie Murphys „Dark Night, Bright Stars, Vast Universe“ greift die Ideen und Motive von „Don Juan“ auf, erweitert sie jedoch in einen modernen, kosmischen Klangraum. Die Komposition wirkt wie ein musikalisches Pendant zu einem Sternenhimmel, in dem einzelne Motive als Lichtpunkte aufleuchten und sich zu einem größeren Ganzen verweben. Shelley und das Orchester demonstrieren hier ihre Vielseitigkeit, indem sie die oft fragilen, fast schwebenden Klänge dieser zeitgenössischen Musik mit großer Sorgfalt ausgestalten. Die Balance zwischen den subtilen, fast minimalistisch anmutenden Passagen und den dramatischen Höhepunkten wird meisterhaft gewahrt, sodass sich ein Spannungsbogen ergibt, der den Hörer unweigerlich fesselt.
Einen weiteren Höhepunkt bildet Kevin Laus „The Infinite Reaches“, das als Antwort auf Strauss’ „Tod und Verklärung, Op. 24“ konzipiert ist. Laus Musik greift die existenziellen Fragen nach Leben, Tod und Transzendenz auf und überträgt sie in eine moderne Klangsprache, die zwischen introspektiver Zartheit und eruptiver Dramatik oszilliert. Besonders faszinierend ist, wie Shelley die emotionale Dichte dieses Werks herausarbeitet. Die Streicher überzeugen durch ihren warmen, vollen Klang, während die Blechbläser die dramatischen Höhepunkte mit beeindruckender Wucht gestalten. Das Orchester schafft es, Laus melodische Bögen mit einer solchen Intensität zu spielen, dass die Musik geradezu hypnotisch wirkt. Shelley beweist hier sein Gespür für die dramatische Struktur eines Werks und lässt den musikalischen Dialog zwischen Tradition und Moderne lebendig werden.
Den Abschluss der Aufnahme bildet Strauss’ „Tod und Verklärung, Op. 24“, ein Werk von philosophischer Tiefe. Hier zeigt sich Shelley als ein Dirigent, der sowohl die emotionalen als auch die intellektuellen Dimensionen dieser Musik klug erfasst. Die Eröffnung, die die letzten Atemzüge eines sterbenden Künstlers musikalisch nachzeichnet, wird mit Intensität gestaltet. Das Orchester entfaltet einen dunklen, satten Klang, der die existenzielle Dramatik des Werks spürbar macht. Im Verlauf steigert sich die Musik zu einer Apotheose von ergreifender Schönheit, die die Vision einer transzendenten Verklärung hörbar macht. Die Streicher singen, die Holzbläser malen feine Farbnuancen, und die Blechbläser setzen kraftvolle Akzente, ohne jemals aufdringlich zu wirken. Dieses Finale ist von einer berührenden Eindringlichkeit, die den Hörer in eine andere Sphäre zu entführen scheint.
„Poema 1. Ad Astra“ ist ein Auftakt, der überzeugt. Shelley und das Canada’s National Arts Centre Orchestra beweisen nicht nur ihre technische Kompetenz, sondern auch ihr künstlerisches Feingefühl für die vielschichtigen Herausforderungen dieser Aufnahme. Strauss’ Meisterwerke werden in all ihrer orchestralen Pracht präsentiert, während die modernen Kompositionen eine neue Perspektive eröffnen, die die zeitlose Relevanz von Musik eindrucksvoll unterstreicht. Diese CD ist weit mehr als eine Sammlung von Stücken – sie ist ein intellektuelles und emotionales Erlebnis, das die Grenzen der musikalischen Tradition auslotet und erweitert.
Dirk Schauß, im Januar 2025
Poema 1. Ad Astra
Canada National Arts Centre Orchestra
Alexander Shellery, musikalische Leitung
Analekta, AN28891