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CD plus DVD L’INCORONAZIONE DI POPPEA, live Salzburg August 2018 – Sonya Yoncheva und William Christie in einer Jan Lauwers Inszenierung

Spezialedition zum 40. Geburtstag von Les Arts Florissants; harmonia mundi

06.09.2019 | cd

CD plus DVD L’INCORONAZIONE DI POPPEA, live Salzburg August 2018 – Sonya Yoncheva und William Christie in einer Jan Lauwers Inszenierung; Spezialedition zum 40. Geburtstag von Les Arts Florissants; harmonia mundi

Das Mitte des 17. Jahrhunderts uraufgeführte Meisterwerk des 75-jährigen Monteverdi fällt in eine Zeit des beginnenden Humanismus, der Öffnung aristokratischer Theater für die Öffentlichkeit, aber auch einer an Pest, Wirtschaftskrise und schrumpfenden (Übersee)Territorien notleidenden Republik Venedig. Die Bevölkerung der Lagunenstadt war schon 1606 vom Papst pauschal exkommuniziert worden.

Vor diesem politischen Hintergrund schrieb der Maestro di Cappella della Serenissima Repubblica di Venezia sein dramma musicale „L’Incoronazione di Poppea“ in einem Prolog und drei Akten als drastisch dekadentes Stück über Kaiser Nero und seinen Hofstaat. Giovanni Francesco Busenello und Monteverdi haben daraus eine universelle Tragikomödie geschaffen, wo politischer Ehrgeiz, Verführung, Liebe und Sex, Erhabenes , Niedertracht und Mord in einer satirischen Gesamtschau kunstvoll ineinander verflochten sind. Das Bühnenpersonal ist moralfrei bis verrückt, nur Seneca hält das Zepter der Vernunft einigermaßen intakt. Freilich begeht er Selbstmord.

Die Salzburger Festspiele haben die prächtige Barockoper 2018 im Haus für Mozart in der Regie und Choreographie des Niederländers Jan Lauwers herausgebracht. William Christie als primus inter pares am Cembalo ist diesmal mit einer überaus klein besetzten Formation (2 Violinen, Blockflöte, Zink) und zwei Continuogruppen (Cembalo, Cello, Viola da Gamba, Lira da Gamba, Kontrabass, Dulcian, Harfe, Theorbe, Laute, Orgel) angetreten. „Das bedeutet, dass ein improvisierendes Ensemble die Rezitative spielt, denn diese sind die Seele und der wichtigste Aspekt bei einer Oper wie ‚Poppea‘. Ich dirigiere nicht. Ich werde spielen und Teil des Continuo-Teams sein. Und wer dirigiert dann? Die Antwort ist einfach: Die Sänger.“

Bei der nun veröffentlichten Jubiläums-Spezialedition kann zwischen einer bloßen Musikwiedergabe auf drei CDs oder einer DVD-Videoaufnahme gewählt werden. Rein musikalisch führt der basisdemokratische Ansatz zu einem flüssigen Ablauf und eine wunderbar die Sänger ins Zentrum rückende Aufführung. Insgesamt fehlt mir aber wie ein klein wenig an innerer Spannung. Profiliertere bzw. schärfer akzentuierte und artikulierte Interpretationen lieferten u.a. Nikolaus Harnoncourt und René Jacobs. Das mag vielleicht an der Haltung Christies, die Interpretation auf das abzustimmen, „was ich sehe.“ Die Musik hat in der Oper ein Gesicht, eine Gestalt, einen visuellen Aspekt, der sehr wichtig ist. Daher müssen Fragen wie Tempi, die Position der Darsteller auf der Bühne und musikalische Fragen auf das visuelle Angebot abstellen.

Regisseur Jan Lauwers doppelt die durch Musik und Szene bereits gegebenen Möglichkeiten der Erzählungsdeutung durch eine seelisch emotionale Tiefenschau der Protagonisten mittels eines dramatisch-drastischen Bewegungsballetts. Tanz und Performance dominieren über weite Strecken die Szene und Aufmerksamkeit des Betrachters (Salzburg Experimental Academy of Dance und Bodhi Project). Das vielschichtige, expressiv-gestenreiche Zubrot mag zwar im besten Fall Zusammenhänge verdeutlichen, erzeugt aber gerade in ruhigerem Fahrwasser (Schlussduett) eine enorme Unruhe, die von der Musik ablenkt. Teilweise wirken die Bewegungen hysterisch. Mir ist zudem nicht einleuchtend, warum unbedingt wie mit dem Holzhammer Wissen um historische Details abseits des Stücks eingetrichtert werden muss. Während des seraphischen Schlussduetts „Pur ti miro“ zeigt der Tänzertrupp recht deutlich, was Nero mit seiner geliebten Poppea einst anstellen wird. Er wird sie als Schwangere mit einem Fußtritt ins Jenseits befördern. Diese Visualisierung zerstört diesen kathartischen Wimpernschlag der Stille, die großen Privatheit der Szene, die Magie des Augenblicks.

Dagegen bieten die drei weiblichen Handlungsträgerinnen Sonya Yoncheva als Poppea, Stéphanie d’Oustrac als Ottavia und vor allem Kate Lindsey als Nerone Prachtstimmen, stilkundige Phrasierungen und Verzierungen sowie darstellerisches Profil. Ihre zynisch bösen Figuren sublimieren sie mit charakterstark modelliertem und wo vorgesehen mit überirdisch schönem Gesang. Auch die restliche Besetzung mit dem Countertenören Carlo Vistoli (Ottone), Dominique Visse (Arnalta), dem Bariton Renato Dolcini (Seneca), den Sopranistinnen Ana Quintans (Drusilla), Tamara Banjesevic (Damigella), den Tenören Marcel Beekman (Nutrice), Alessandro Fisher (Lucano) und dem Bass Virgile Anceli (Marcurio) stellt sich in den Dienst eines vokal großen Opernabends. Da bleibt wirklich kein Wunsch offen. Szenisch und vom Originalklangensemble Les Arts Florissants her bleibt ein Erdenrest.

Anmerkung: Auf DVD ist William Christie bereits seit 2012 mit einer Aufnahme von Monteverdis „Poppea“ präsent, aufgenommen im Teatro Real Madrid 2010, mit Philippe Jaroussky, Max Emanuel Cencic, Danielle de Niese, Anna Bonitatibus, Antonio Abete und Ana Quintans; Virgin Classics

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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