Platz für kreative Frauen – Boulanger Trio bei Berlin Classics
Reichhaltige Musik
Karla Haltenwanger, Pianistin des Ensembles Boulanger Trio, erklärt, dass ihnen immer wieder fantastische Komponistinnen begegnen würden, die zum Teil kaum bekannt waren oder immer noch kaum bekannt seien. Und so findet sich auf dem neuen Album ausschließlich Musik von Frauen. „Who’s afraid of…?“ ist das zwölfte Album des Boulanger Trios. Es entstand in Kooperation mit dem Deutschlandfunk. Auf der Suche nach einem Titel hätten sie über starke Frauen nachgedacht, die in den letzten Jahrhunderten die Gesellschaft geprägt hätten, so Ilona Kindt, die Cellistin des Trios. Der Albumtitel sei auch eine Hommage an die Schriftstellerin Virginia Woolf. Für Edward Albee habe im Titel seines 1962 veröffentlichten Theaterstücks „Who’s afraid of Virginia Woolf“ die Frage mitgeschwungen, wer sich ein Leben ohne Illusionen traue. Neun eindrucksvolle Werke verschiedener Komponistinnen aus der Zeitspanne von 450 Jahren sind hier versammelt. Die Komponistin Elfrida Andree arbeitete entgegen den damaligen gesellschaftlichen Konventionen als Organistin an der Kathedrale von Götheborg. Bis heute ist sie die einzige Frau Schwedens, die als Organistin in einer Domkirche tätig war. Hier erklingt ihr wertvolles Klaviertrio Nr. 2 in g-Moll, das durch die ausgefeilte Klangbalance zwischen dem Klavier und den Streichinstrumenten besticht. Bei den Interpreten kommt noch Birgit Erz (Violine) hinzu. Dieses Werk hat vor allem in thematischer und harmonischer Hinsicht Ähnlichkeiten mit dem Klaviertrio in d-Moll op. 11 von Fanny Hensel, das auf dieser CD ebenfalls ausdrucksvoll interpretiert wird. Hensels Trio beginnt mit einem sehr stürmisch-leidenschaflichen ersten Satz, dem ein bewegender langsamer Satz folgt. Das Werk endet mit einem schlichten Lied. Kompositorische Reife zeichnet beide Werke aus. Von der 1619 geborenen venezianischen Komponistin Barbara Strozzi erklingt der Satz „Che si puo fare?“ mit zahlreichen kontrapunktischen Finessen, die präzis herausgearbeitet werden. „Erinnerung ans Schicksal“ der seit frühester Jugend blinden Komponistin Maria Theresia Paradis ist eine interessante Vertonung eines Gedichtes von Sophie von La Roche, eine der wichtigsten literarischen Stimmen der weiblichen Emanzipation des 18. Jahrhunderts. Vittoria Aleotti (1575 bis 1646) wuchs am Hof von Ferrara auf und veröffentliche im Jahre 1593 in einem venezianischen Verlag eine Sammlung von Madrigalen unter dem Titel „Ghirlanda de Madrigali a quatro voci“. Im gleichen Jahr wurde sie Nonne. Das hier zu hörende Madrigal „Io V’amo Vita Mia“ ist geprägt von kontrapunktischem Zauber. Von Lili Boulanger ist auf dieser CD ein Titel aus dem Liederzyklus „Clairieres dans le ciel“ auf Texte des französischen Symbolisten Francis Jammes vertreten. Auch hier dominiert ein geheimnisvoller melancholischer Ton. „Göttingen“ der französischen Chansonniere Barbara kann ebenfalls stark überzeugen. Sie leistete einen wesentlichen Beitrag der Verständigung und Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Es sei einfach ein tolles Gefühl miteinander zu spielen, wenn man sich blind verstehe, so Karla Haltenwanger. „Wir spüren den Atem der anderen, wissen genau, wie sie eine Stelle in dem Moment interpretieren möchte und gehen dann mit. Das ist einfach schön“. Das 2006 gegründete Trio überrascht noch mit weiteren erfrischend musizierten Nummern wie „Fallin'“ von Alicia Keys und „Postscriptum“ von Lera Auerbach, einer österreichisch-russischen Komponistin. Auerbachs Komposition besticht mit wirkungsvollen Glissando-Effekten, Pizzicati- und Tremolo-Sequenzen. Die Violinistin Birgit Erz betont, dass die individuelle Sprache zu entdecken sei, die immer im Mittelpunkt stehe.
Alexander Walther