CD PIETRO MASCAGNI „IRIS“ – Live Mitschnitt aus dem Konzerthaus Berlin vom Februar 2020; Oehms Classics
„Iris“ ist nicht nur die erste Verismo-Oper mit exotisch-japanisch-symbolistischem Sujet, sondern auch eine der raren Opern ganz ohne schwärmerisches Liebespaar. Die junge unschuldige Iris zerbricht am Dreizack egomaner, herrischer Männer. Keiner von ihnen ist – abgesehen vom äußeren Schein – besser als der andere: Da der reiche Osaka, der in Iris nichts als ein erotisches Objekt sieht, dort Kyoto, der Besitzer eines Geisha-Hauses, der mit der Entführung der jungen Frau Geld verdienen will. Irgendwo dazwischen ihr blinder Großvater, der die aufopfernde Enkelin als „seine Augen“ bezeichnet und auch dementsprechend als persönliches Eigentum behandelt.
Die musikalisch meisterliche Oper erfreut mit einem besonders kunstvoll gewebten Orchesterpart. Der wiederum lebt vom Kontrast der den Charakter der Titelheldin gleichnishaft als Naturwunder und ihre Schönheiten beschwörenden lautmalerischen Klängen sowie einer schroff-grausamen, berechnenden Männerwelt. Schon der Eingangschor „L’aurora, son io la vita“ gibt hier die Kadenz und Fallhöhe vor. Iris als eine die Natur liebende, hilfsbereite Frau ist als Figur – wenn auch mit völlig anderem Hintergrund – einer Rusalka, einer Daphne oder den Rheintöchtern nicht unähnlich.
Die beiden Halunken Osaka und Kyoto nutzen ein märchenhaftes Puppenstück, um Iris‘ Aufmerksamkeit zu gewinnen: Natürlich lässt sie sich von der Geschichte der jungen “Dhia“, von ihrem Vater als Sklavin angeboten und von “Jor”, dem Sohn der Sonne, in eine bessere Welt gerettet, verzaubern. Sie wird von Kyotos willigen Helfern in sein Geisha-Haus verschleppt, wo sie sich bei all dem herrschenden Luxus im Jenseits wähnt. Osaka holt sie rasch auf den Boden der Tatsachen zurück, als er sich dem Mädchen leidenschaftlich anbietet. Sie schreckt zurück, der verwöhnte reiche Mann verliert das Interesse. Nun soll sie von Osaka in die Auslage gestellt, wenigsten so Geld einbringen. Dort findet sie ihr selbstmitleidiger Großvater, der sie anstatt heimzuholen, mit Dreck bewirft. Iris stürzt sich in selbstmörderischer Absicht in den Abgrund. Die Sterbende vermeint noch einmal die Stimmen ihrer drei Peiniger zu hören. Die Oper schießt mit einer mystischen Überhöhung. Die Sonne geht auf und begrüßt alle Wesen und verspricht ihnen Schönheit, Licht und Wärme. Sie ruft Iris zu sich, die getröstet stirbt.
Das Libretto zu “Iris” stammt von Luigi Illica, jenem famosen Theatergeist, der gemeinsam mit seinem Partner Giuseppe Giacosa die Textbücher zu “La Bohème”, “Tosca” und “Madame Butterfly” schrieb. Ohne seinen Partner gelangen ihm zudem immens erfolgreiche Libretti zu Opernhits “La Wally oder “Andrea Chenier”. Illica kannte André Messagers “Madame Chrysanthème”. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Gemeinsam mit Mascagni schuf er mit “Iris”die erste italienische Japan-Oper. Puccini war bei der Premiere am 22.11.1898 in Rom mit dabei. Hörbar hat er sich selber von Mascagni Kunst inspirieren lassen.
Auf dem Tonträgermarkt sieht es mit “Iris” im Vergleich zu “Cavalleria rusticana” mehr als mager aus. Verwegene Sammler kennen den Live-Mitschnitt aus dem Concertgebouw mit Magda Olivero, Luigi Ottolini und Renato Capecchi vom 12.10.1963 unter der musikalischen Leitung von Fulvio Vernizzi. Die bis dato einzige reguläre Aufnahme mit Tokody, Domingo, Pons, dem Münchner Rundfunkorchester unter Giuseppe Patané ist leider längst vergriffen. Das gilt auch für die Aufnahme aus Rom mit Dessi, Cura und Ghiaurov.
Ergo ist die Neuaufnahme ganz einfach schon deshalb willkommen, weil sie die einzige Gelegenheit bildet, diese Oper in sehr anständiger Tonqualität zu hören. Aber die Berliner Aufnahme ist auch deshalb sehr empfehlenswert, weil Chor und Orchester der Berliner Operngruppe unter der sensiblen wie klanglich faszinierend aufgefächerten Leitung von Felix Krieger alle Vorzüge der Partitur genussreich vermittelt. Die atmosphärisch dichten Bilder des Stücks werden in unzähligen instrumentalen Details und Soli hörbar gemacht. Hier werden melodische Bögen im samtenen Streichersound ausgekostet, dort mit Einwürfen von Flöte oder Blech die Sonne zum glitzern gebracht. Impressionistische Tonmalerei wechselt ab mit den Text präzise abbildenden arios-deklamatorischen Abschnitten.
Die vier Hauptrollen sind mit der intensiv die Seelenzustände der Titelheldin ausreizenden Karine Babajanyan (Iris), Samuel Simoncini (Osaka), Ernesto Petti (Kyoto) und David Ostrek (Der Blinde) dramaturgisch exzellent und stimmlich gediegen besetzt. Die eine oder andere tenorale Unart ist auszuhalten.
Mit der vorliegenden Einspielung feiert die Berliner Operngruppe ihr zehnjährigen Jubiläum. Ein insgesamt stolzes Geschenk hat sich die Truppe mit dieser “Iris” bereitet. Empfehlung!
Dr. Ingobert Waltenberger