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CD PIETER HELLENDAAL: CAMBRIDGE SONATAS, Weltersteinspielungen; Audax Records

07.04.2020 | cd

CD PIETER HELLENDAAL: CAMBRIDGE SONATAS, Weltersteinspielungen; Audax Records

 

„Ihre vornehme Übung muss den Gebrauch des Bogens betreffen: Sie müssen in Haltung, Balance und Gewicht unumschränkter Meister werden.“ Tartini

 

Der österreichische Geiger Johannes Pramsohler und der Cembalist Philippe Grisvard haben schon mit etlichen Ausgrabungen barocker Sonaten für Furore gesorgt. Telemann, Leclair, Albicastro, Pisendel, Krebs und Graun. Jetzt ist der aus Rotterdam stammende Violonist Pieter Hellendaal dran, der nach Stationen in Padua, wo er bei Giuseppe Tartini studierte, und nach einem Aufenthalt in von Leiden in Holland 1751 nach London kam. Er durfte sich zuerst wie Geminiani und Veracini als Stargeiger zwischen den Akten von Händels Opern produzieren. Seine finale Position erhielt er aber in Cambridge, wo er als Organist und Lehrer wirkte.

 

Auf der vorliegenden CD werden die ersten sechs von 11 Sonaten aus einem Manuskript im Fitzwilliam Museum in Cambridge erstmals auf Tonträger vorgestellt. Pramsohler und Grisvard haben sich für diese Sonaten entschieden, weil „sie trotz ihrer Heterogenität im Satzaufbau stilistisch doch einen relativ kongruenten Zyklus darstellen. Zahlreiche skizzierte Kadenzen, Verzierungen, Alternativen und akrobatische Strichbezeichnungen machen sie zu einem wichtigen Dokument historischer Aufführungspraxis. Es ist vor allem faszinierend zu sehen, wie Hellendaal das gesamte technische Arsenal der Bogentechnik ausnützt: Spiccato, Bariolage, angehängte Bogenstriche, Akkorde, schnelle Sechzehntelpassagen und lange getragenen Linien.“

 

Tartini, Corelli, Locatelli, das sind die modellhaften Eckpfeiler, um die sich das Schaffen von Hellendaal rankt. Pramsohler, Grisvard und als Dritte im Bunde die koreanische Cellistin Gulrim Choï, erste Cellistin des Ensembles Diderot, führen diese Schule barocker kammermusikalischer Tricks und Finten am steilen Grat italienischer Geigenkunst in eine Höhe, die schwindeln macht. Dass die Solisten dabei nicht einfach Noten spielen, sondern mitschöpferisch agieren, erläutert Johannes Pramsohler so: “In den Sonaten 2, 4 und 6 waren mir die langsamen Einleitungssätze Vorlage für improvisierte Verzierungen “willkürlicher Manier”, sodass ich beinahe keine Note allein dastehen ließ. Die endlosen Fugen sind allesamt echte Prüfstücke für den Geiger, in denen das Corellische Modell mit Akkorden und Passagen in höchsten Lagen –  mit piano bezeichnet! – auf die Spitze getrieben wird. Die Fugen der Sonaten 3 und 4 und der erste Satz der Sonate 4 schließen mit großen, ausgeschriebenen Kadenzen ab, die an die Caprizen von Locatelli erinnern.”

 

Der aufmerksame Hörer kommt aber auch ganz gut ohne Theorie oder spezifisches Wissen zurecht. Es genügt die Breitschaft, sich von den melodischen Winkelzügen, den artikulatorischen und klanglichen Perspektivenwechseln, den Trillern und originell überraschenden Volten der Geige fort tragen zu lassen, ihnen vertrauensvoll zu folgen. Die Qualität der Musik genügt höchsten Ansprüchen. Die kraftvolle, finessenreiche Interpretation zielt darauf, uns  diese Meisterwerke so lebendig vorzuführen, dass wir dem Schöpferakt unmittelbar nah zu sein glauben. Wer die Werke von Arcangelo Corelli liebt, wird an dieser referenziellen CD kaum vorbeikommen. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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