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CD „PHOENIX“ JANUSZ WAWROWSKI spielt Violinkonzerte von ROZYCKI und TCHAIKOVSKY; Warner Classics

14.03.2021 | cd

CD „PHOENIX“ JANUSZ WAWROWSKI spielt Violinkonzerte von ROZYCKI und TCHAIKOVSKY; Warner Classics

 

Stimmungsretter bei Schietwetter

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„Wen kümmert das fiese Wetter draußen, wenn er diesen kräftigen und raffiniert gewürzten indischen Blatt-Tee in der Tasse hat? Behaglichkeit und Genuss pur, der sich mit Rum-Kandis noch steigern lässt“, steht auf meiner Schietwetter-Teepackung aus Bremen (Schwarzer Tee, Orangenschale, Fenchel, Gewürznelke, Hibiskus, Kardamon, Zimt). Die vorliegende CD bietet zudem einen außerordentlichen duftig-krokanten Vanilleton. Natürlich kann zum Hören dieser höchst kulinarischen Werke ein Rum-Grog, Zoladkowa Gorzka oder Büffelgras-Wodka getrunken werden. 

 

Des polnischen Geigers Janusz Wawrowski Entdeckung in der gemeinsam mit Freunden arrangierten Instrumentierung des Phoenix-Konzerts für Violine und Orchester von Ludomir Rózycki macht auch pur jede Menge Freude. Nicht zuletzt wollen wir alle ähnlich diesem feinen Konzert nach der Pandemie wieder wie Phoenix aus der Asche erstehen. Die Musik des zweisätzigen Konzerts erinnert den Solisten an Gershwin oder Korngold mit einem leichten Hollywood-Einschlag und gleichzeitig ausgeprägten slawischen Anklängen. Mich zusätzlich an die spätromantische Emphase seines Berliner Lehrers Humperdinck und die überirdisch schönen Kantinen des späten Richard Strauss. 

 

Seien Sie nicht beunruhigt, falls das ‚Allegro deciso‘ den inneren Fred Astaire locken sollte. Das glitzert und funkelt, dreht und wiegt sich, voller Übermut und kindlich anmutender Freude. Draußen erstrahlen Krokusse, Primeln, Tulpen, Narzissen und Forsythien in ihren leuchtendsten Frühlingsfarben. Für eine Stunde bleiben die Alltagssorgen Makulatur. Natürlich war der Kompositionsstil in Anbetracht des Entstehungsjahrs völlig außer der Zeit. Aber es gibt eben unterschiedliche Wege, mit Katastrophen umzugehen. Dieses Violinkonzert gibt davon das beredteste Zeugnis. Einfach hatte es Rózycki ja ganz und gar nicht: Die Gestapo beobachtete und bedrohte unter anderem die Künstler in Polen, die ja die (den Nazis unerwünschte) Identität des Landes mit schufen und vertieften. Kaum hatte Rózycki das Konzert fertig gestellt, als er sich für eine Flucht aus Warschau entschied. Das Manuskript versteckte er in einem Koffer, den er in seinem Garten vergrub. Der vergrabene Koffer wurde von Bauarbeitern beim Wegräumen des Schutts von Rózyckis Haus in Warschau entdeckt. Die Noten wurden der polnischen Nationalbibliothek übergeben. 

 

So stand auch Wawrowski das Manuskript des Klavierauszugs zur Verfügung. Als ihm zusätzlich Teile der Orchesterpartitur einschließlich 87 Takte der Originalnoten vorlagen, war klar, Wawrowski wollte das Werk unbedingt aufführen und auf Platte festhalten. Letzteres fand im November 2019 mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter der musikalischen Leitung von Grzegorz Nowak in der Henry Wood Hall in London statt. Das war kurz vor Corona. „Wenn wir auf die wechselvolle Geschichte unserer Zivilisation und auf Zeiten der Unruhe zurückblicken, sehen wir, dass Kultur und Kunst immer die wesentlichen Elemente waren, die der Menschheit Unterstützung boten.“ erklärt Wawrowski sein Motiv für das “Phoenix”-Album. „Als ob sie gegen die traurige Realität des Tages ankämpften, haben Künstler ihre schöpferische Kraft bewusst eingesetzt, um Werke zu schaffen, die sowohl Hoffnung als auch Freude brachten.“

 

Im Falle der beiden hier eingespielten Violinkonzerte war es so, dass wie bei Rózycki schon angedeutet, in schwierigen Phasen im Leben der Komponisten geschrieben wurden. Tchaikovsky wollte das dramatische Scheitern seiner Ehe vergessen und Ludomir Rózycki schrieb sein lebens- und hoffnungsfrohes Werk 1944 während des Warschauer Aufstands im 2. Weltkrieg. Zu Lebzeiten des Komponisten (1883-1953) fand keine Aufführung statt. Dies auch deshalb, weil Wladimir Wochniak, der den Part spielen sollte, mit den extremen technischen Anforderungen des zweiten Teils nicht zurande kam und eine intensive Überarbeitung des Soloparts wegen der Flucht des Komponisten nicht mehr möglich war. Für die vorliegende Aufnahme „entschärfte“ Wawrowski einige schwer spielbare Passagen.

 

Auf seiner unvergleichlich füllig und rund klingenden Stradivari „Polonia“ aus dem Jahr 1685 verführt uns Wawrowski mit einer stupend sanglichen Virtuosenakrobatik, ohne je an der Oberfläche haften zu bleiben. Der Hörer kann sich unbeschwert in Schönheit baden. Der Kritiker muss einmal für eine Stunde nicht nachdenken, ob eine Verdünnung der Streicher von 20 auf sechs Instrumente nach ‚bester‘ Originalklangmanier vielleicht der strukturellen Idee des Werks irgendwie zugute gekommen wäre. So spielen das fabelhafte Royal Philharmonic Orchestra unter dem musikantisch geschwungenen Stab von Grzegorz Nowak sowohl das Rózycki als auch das fantastische Tchaikovsky Konzert genau so klangmächtig und romantisch, wie sich das die Komponisten halt so ausgedacht haben. Wawrowski ist sowieso eine Klasse für sich. Er entzückt mit sonor saftigem, niemals larmoyantem Ton, aber auch einer unglaublichen Delikatesse in Phrasierung und Dynamik. Das Tchaikovsky-Konzert finde ich insgesamt sogar noch einen Deut (emotional) überzeugender als die berühmte Aufnahme unter Karajan mit Anne-Sophie Mutter als Solistin. 

 

Heute werden einmal nicht die Kalorien gezählt und lieber das Gemüt als das schlechte Gewissen gefüttert. Manchmal darf es ruhig Sachertorte mit Schlagobers ein, auch in der Musik. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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