CD PHILIPPE JAROUSSKY – SCHUBERT Lieder; Erato
Countertenöre und Liedgesang, das ist so eine Sache. Schon Alois Mühlbacher hat mich mit seinen Versuchen, Liedern von Richard Strauss und Gustav Mahler (Ars Produktion) mit seiner speziellen Stimme neue Facetten abgewinnen zu wollen, alles andere als überzeugen können.
Der französische Countertenor Philippe Jaroussky erfreut uns nun schon jahrzehntelang mit seiner Musikalität, vor allem seinen Interpretationen vor allem von Kantaten und Opern des 18. Jahrhunderts, ergo seinem stilvollen Ziergesang und einer fein schwebenden hohen Lage. Schon öfter ist er aus der barocken Fixation, in die Countertenöre gestellt werden, ausgebrochen.
So hat er sich 2014 mit dem Album „Green – Mélodies francaises sur des Poèmes de Verlaine“ das französische Kunstlied des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts vorgeknöpft. Auch das Liedschaffen eines Franz Schubert ist weder für ihn noch für sein Publikum neu. Mit dem Gitarristen Thibaud Garcia hat er dessen „Erlkönig“ eingespielt (Album „Philippe Jaroussky & Thibaud Garcia – A sa guitare“).
Schon im Februar 2020 hat Philippe Jaroussky mit dem Pianisten Jérôme Ducros 19 Schubert-Lieder eingespielt, die nun bei seinem Stammlabel Erato publiziert werden. Jaroussky: „Schon immer hat Schuberts Musik mein musikalisches Leben begleitet – als Geiger, Pianist und schließlich als Sänger. Dieses Album ist eine Liebeserklärung an sein Genie, aber auch an die deutsche Sprache, der ich mich verbunden fühle. Ich freue mich, dass es mich zum dritten Mal mit Jérôme Ducros zusammenführt, in einer Auswahl von Liedern, die wir mit großer Sorgfalt für Sie zusammengestellt haben!“
Trotz meiner bestätigten Vorbehalte, was Stimmfarben, Volumen, Expansionsfähigkeit sowie das Vermögen an dynamischer Differenzierung für ein romantisches Repertoire anlangt, das in die (Un-)Tiefen der menschlichen Seele dringt und somit oftmals aus Extremzuständen schöpft, die ausgedrückt werden wollen, ist Jaroussky Beachtliches geglückt. Geschickt hat er mit seinem Pianisten Ducros ein Programm zusammengestellt, wo der Sänger mit seinen vokalen Stärken, als da sind melancholische Legatobögen, ätherische Piani („Litanei auf das Fest aller Seelen“, D 343, „Du bist die Ruh“, D 776, „Des Fischers Liebesglück“ D 933) oder lyrische Zartheit („Die Forelle“ D 882, „Nachtstück“, D 672), punktet. Sinnstiftend phrasieren und poetisch elegant extemporieren kann er auch.
Allerdings fehlen bei bewegteren Nummern wie dem „Lied der Mignon“, D 877/4 oder „Der Musensohn“ D 764 doch Dramatik, erzählerische Dichte, ein fleischiges (Mezzo)Forte, mit dem vor allem berühmte Mezzosopran- oder Baritonstimmen ihre Hörerschaft eindringlich mitzunehmen vermögen. Gerade in Liedern wie „Erster Verlust“, D 226 oder „Im Abendrot“, D 799 macht sich dann doch Eintönigkeit breit, so kunstvoll und hörbar engagiert Jaroussky auch die melodischen Bögen formt. Auf der Habenseite insgesamt steht eine gute Beherrschung der deutschen Sprache, wenngleich die Artikulation (Konsonanten) nicht immer ausreichend knackig konturiert ist.
Fazit: Der Ausflug eines großen französischen Sängers ins deutsche Liedfach. Neben wie gewohnt wunderbar weit geformten Legatophrasen und delikat lyrischer Versenkung mangelt es doch an markanter Diktion, dynamischen Kontrasten und vor allem an Stimmfarben und Akzenten. Für Jaroussky-Fans ohne Wenn und Aber.
Dr. Ingobert Waltenberger