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CD: PFLEGER: THE LIFE AND THE PASSION OF THE CHRIST – Orkester Nord, Martin Wåhlberg

03.04.2021 | cd

CD: PFLEGER: THE LIFE AND THE PASSION OF THE CHRIST – Orkester Nord, Martin Wåhlberg

Ostern ohne die Matthäus-Passion, dafür mit dem Missing Link zwischen Schütz und Bach

Pfleger: Life and Passion of the Christ - Aparté: AP249 - CD | Presto  Classical

Wer Ostern ohne die Matthäus-Passion, aber nicht ohne Passion begehen möchte, dem ist mit der Veröffentlichung des Albums «The Life and the Passion of the Christ» mit Musik von Augustin Pfleger (1635-1686) geholfen. Martin Wåhlberg, Gründer des Orkester Nord (vormals Trondheim Barokk), hat aus dem von Augustin Pfleger geplanten Zyklus von 72 Kantaten für das Kirchenjahr 6 Kantaten ausgewählt, die zum Panorama des Leben Christi werden und hervorheben, was im Mittelpunkt des geistlichen Schaffen Pflegers steht.

Der heute weitestgehend unbekannte Augustin Pfleger wurde 1635 im nordböhmischen Schlackenwerth (heute Ostrov nad Ohří) geboren. Nach seinem Studium beim von der italienischen Schule beeinflussten Johann Erasmus Kindermann in der freien lutherischen Reichsstadt Nürnberg trat Pfleger im heimatlichen Schlackenwerth in die Dienste des katholischen Herzogs Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg, einem ehemaligen Mitstreiter Wallenbergs, der die Herrschaft 1623 erworben hatte. 1662 stand Pfleger als Vize-Kapellmeister in Diensten von Gustav Adolf, Herzog zu Mecklenburg. -Güstrow, der wie auch die weiteren zukünftigen Dienstherren lutherischen Glaubens war. Mit dem Weggang von Daniel Daniélis wurde Pfleger 1664 Kapellmeister und begann mit der Neustrukturierung der Hofkapelle. Erste Werke Pflegers, auch solche die noch am Hofe von Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg entstanden waren, erschienen nun im Druck. 1665 stand Pfleger in Diensten von Herzog Christian Albrecht von Schleswig-Holstein-Gottorf. Hier entstand die Mehrzahl der überlieferten Werke Pflegers: hier begann er den (unvollendeten) Zyklus von 72 Kantaten für das Kirchenjahr und schrieb neben geistlicher Musik für seinen Dienstherrn auch Opern. Mit Pflegers Weggang aus Gottorf 1673 verliert sich die Spur des Komponisten, bis er im heimatlichen Schlackenwerth wieder nachweisbar ist, wo er 1686 starb.

Pflegers Biographie zeigt, mit welchen Verhältnissen er und die Komponisten seiner Generation sich arrangieren mussten. Ihre Karrieren fanden in einem nach dem Dreissigjährigen Krieg zwar befriedeten, aber konfessionell stark fragmentierten Deutschland statt und setzten voraus, dass sie sich kompetent in den zwei so komplett verschiedenen Welten wie der des «Ordinarium missae» (Katholische Konfession) oder der volkssprachlicher Motetten (lutherische Konfession) bewegen konnten. Martin Wåhlberg hat um die Passionsgeschichte als Zentrum von Pflegers Oeuvre zu zeigen für das vorliegende Album sechs Kantaten aus seinem deutschsprachigen Schaffen ausgesucht:

[1] Die Verkündigung des Herrn, „Jetzt gehet an die neue Zeit“

[2] Die kanaanäische Frau, „Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme“

[3] Heilungswunder, „Der Herr ist groß von Wundertat“

[4] Der Weg nach Emmaus, „Merket wie der Herr uns liebet“

[5] Eine Leidensgeschichte, „Ach, dass ich Wassers genug hätte“

[6] Der auferstandene Jesus erscheint den elf Jüngern, „O Freude und dennoch Leid“

Augustin Pflegers Kantaten zeichnen sich durch einen höchst direkten musikalischen Ausdruck und melodisch gestaltete Phrasen immer nahe am rezitativischen Stil aus. Jede von Pflegers Dialog-Kantaten ist wie ein theatralisches Tableau gezeichnet, alles ist Drama: die handelnden Personen sprechen, schweigen sich an oder wenden sich voneinander ab. Es fehlen die Da-Capo-Arien oder lange Choräle. Die Texte sind frei aus Bibel- und Andachtstexten wirkungsorientiert zusammengesetzt und von entsprechend hoher Ausdrucksdichte.

Die höchst faszinierende Wirkung der Einspielung geht vom schlicht perfekt agierenden Vokalensemble Vox Nidrosiensis aus. Natalie Pérez (Sopran), Gunhild Alsvik (Sopran), Samuel Boden (Tenor), Victor Sordo Vicente (Tenor) und Håvard Stensvold (Bass) setzen die Musik ganz in Pflegers Sinne um und lassen den Zuhörer die Dramatik direkt spüren. Mit mustergültiger Textverständlichkeit erfüllen sie die Musik zu prallem Leben. Das Orkester Nord unter Martin Wåhlberg trägt seinen Teil zum grandiosen Eindruck bei. Die Musik ist wesentlich lebendiger, als man es bei den Lebensdaten Pflegers im ersten Moment vermuten würde.

Spannender ist der Missing Link zwischen Schütz und Bach nicht zu entdecken!

03.04.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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