CD: PERGOLESI: STABAT MATER – Ensemble Resonanz, Riccardo Minasi
«Eine Musik, die von Sünde, Blut und Leid erzählt»
Das Ensemble Resonanz unter Leitung von Riccardo Minasi legt beim Label harmonia mundi eine Einspielung von Pergolesis «Stabat mater» vor: «Eine Musik, die von Sünde, Blut und Leid erzählt», wie sie Minasi im Booklet charakterisiert. Ein dekoratives Heiligenbild von Maria hätte niemand erwartet.
Der Komponist Giovanni Battista Pergolesi aus Jesi in den Marken gehört zu jenen Künstlern, die (auch) wegen ihres frühen Tods bekannt sind. Im Badeort Pozzuoli bei Neapel, wo Pergolesi sich zur Erholung aufhielt, entstand, vermutlich im Auftrag der «Confraternità dei Cavalieri di S. Luigi di Palazzo», das «Stabat mater», das als seine letzte vollendete Komposition gilt. Pergolesi starb am 16. März 1736 an Tuberkulose und wurde am 17. März im Franziskanerkloster in Pozzuoli beigesetzt. Die kurze Schaffenszeit einerseits, und die Erfolge seiner Oper «La Serva Padrona» und des «Stabat Mater», mit dem Pergolesi den „galanten Stil“ in die Kirchenmusik einführte, faszinierten seine Zeitgenossen und dann vor allem die Romantiker und sorgten für einen sofort einsetzenden Nachruhm ähnlich wie bei Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart. Mit dem galanten Stil konnte Pergolesi im Bereich der Oper vollumfänglich reüssieren, wohingegen die emotionale Lebendigkeit und die opernhafte Melodik und Virtuosität in der Kirchenmusik, die Musik drohte die kultischen Handlungen zu überstrahlen, anfänglich wenig Billigung fanden. Aber genau diese Natürlichkeit, die die pompöse Repräsentation ersetzte, faszinierte Pergolesis Zeitgenossen. Pergolesi wurde als Vorbote einer neuen Zeit zum Grossmeister seiner Zeit und seine Werke fanden rasche Verbreitung und wurden so populär, dass das Problem der echten und falschen Pergolesis, von 150 ihm zugeschriebenen Werken dürfte er nur etwa 30 wirklich komponiert haben, die Musikwissenschaft noch über Jahrhunderte beschäftigen sollte.
Pergolesi war nicht nur so populär, dass ihm Werke zugeschrieben wurden: es wurden auch ihm zugeschriebene Werke noch in seinem Stil verbessert. Dies lag daran, dass Pergolesis Genialität in dem virtuosen Umgang mit den Portamenti, standardisierten Kadenzen, Stimmführungen und Sequenzen begründet ist. So konnte er mit einfachsten Mitteln grösste Wirkung erzielen. Bis vor kurzem wurde Pergolesi ein «Salve Regina a due voci» in f-Moll zugeschrieben, dessen älteste Ausgabe 1773 vom englischen Musikverleger Robert Bremner veröffentlicht wurde. Die Musikwissenschaft konnte die Zuschreibung aber in Ermangelung von Quellen (autographes Manuskript, Beleg durch Wegbegleiter, Auftraggeber oder zeitgenössische Archive) nicht erhärten. Kurz vor Beginn der Aufnahmen für die vorliegende Einspielung stiess Minasi bei Recherchen auf ein «Salve a due voci» des Katalanen Joan Rossell (1724-1780). Beim Vergleich zwischen des originalen Autographen von Joan Rossells und der Ausgabe Bremners von 1773 stellte Minasi fest, dass Bremner 1773 das Werk Rossells nicht nur unter falschem Namen veröffentlichte, sondern dass er auch in die Komposition eingegriffen, sie noch stärker Pergolesi Stil angenähert hatte.
Ein weiteres Beispiel für Pergolesis Popularität ist die «Sonata a quattro» op. 1 no. 4 von Angelo Ragazzi (1680-1750), die im Zweiten Satz Pergolesis Stabat Mater zu zitieren scheint. Als «Imitatio in Salve Regina, Mater Misericordiae» huldigt Ragazzo damit seinem Kollegen Giuseppe Avitrano (1670-1756).
Giulia Semenzato (Sopran) und Lucile Richardot (Mezzo-Sopran) interpretieren die Werke mit kühler, klarer Stimme und grandioser Textverständlichkeit ganz im Sinne der Komponisten. Die Emotionen werden ausgelebt ohne je übertrieben zu werken, die Interpretationen stehen vollkommen im Dienst der Werke.
Das Ensemble Resonanz unter Leitung von Riccardo Minasi hat sich, obwohl es keine Spezial-Formation für Alte Musik ist, entschieden, alle Werke in mitteltöniger Stimmung aufzunehmen. So klingen die Farben wärmer, die Dissonanzen härter. Das Ensemble Resonanz kostet die Möglichkeiten der gesteigerten Akzentuierung voll aus und erzeugt so eine elektrisierende, enthusiasmierende, nicht enden wollende Spannung, ganz im Dienst der Werke.
Wieder eine Einspielung, die das Zeug hat zur Referenzaufnahme zu werden.
27.03.2021, Jan Krobot/Zürich