CD PAUL HUANG und HELEN HUANG „KALEIDOSCOPE“ – Kammermusik für Violine und Klavier von Respighi, Paganini, Saint-Saëns und Chopin
Virtuosität, Farbenspiel und Poesie müssen kein Widerspruch sein
Der taiwanesische, in New York lebende Geiger Paul Huang ist schon längst gern gesehener Gast beim Luzern Festival, in Aspen, im New Yorker Lincoln Center oder im Kennedy Center in Washington. Mit Masterabschlüssen an der Juilliard School ausgestattet, konzentrieren sich seine Auftritte aktuell auf renommierte Spielstätten in den USA und auf Taiwan.
Umso willkommener ist sein Debütalbum bei Naïve Records mit wenig bekanntem Repertoire, wie der Violinsonate in b-Moll, P 110 von Ottorino Respighi und der Violinsonate Nr. 1 in d-Moll, Op. 75 von Camille Saint-Saëns, damit auch dem europäischen Publikum die Entwicklung dieses hochmusikalischen Solisten mit dem opulent genießerischen, sinnlich vibrierenden Ton nicht vorenthalten bleibt. Denn wie Paul Huang auf seiner 1742-er ex-Wieniawski Guarneri del Gesù (Leihgabe der Stradivary Society of Chicago) mit der mit ihm nicht verwandten Pianistin und langjährigen künstlerischen Partnerin Helen Huang sich forsch draufgängerisch und doch voller lyrischer Bewegtheit an dieses (spät)romantische Repertoire macht, lässt an ganz große Geigenvirtuosen der Vergangenheit denken. Nicht aus Zufall nannte P. Huang in einem Interview vom 27.2.2023 mit Claire Boisteau David Oistrach, Jascha Heifetz, Fritz Kreisler und den jungen Yehudi Menuhin die pianistischen Modelle, von denen er beim Zuhören u.a. am meisten lernt.
Paul Huang, der sein Instrument als Verlängerung seines Körpers begreift, lässt seine Guarneri unter singendem Vibrato und schmachtenden Portamenti schwelgerische Töne anstimmen. Er arbeitet bei Respighi mit dick gespachtelten Farben und reichlich abschattierten Kontrasten der Timbres, sodass es im ersten Satz der Respighi-Sonate wellt und wogt wie ein Getreidefeld im Sommerwind. Im Andante espressivo reizt das impressionistisch-exotische Flirren des Geigentons in der formal klaren Gestaltung der weit ausgreifenden Themen. Wer macht da wohl wem eine trunkene Liebeserklärung? Die Klavierbegleitung fügt sich in Harmonie traumverloren in den Sog, die Energie, die Eruptionen, die der Meister auf seinem Streichinstrument entfacht. Im dritten Satz (Passacaglia: Allegro moderato ma energico) wird spätestens klar, wie sehr Respighi auch in der Kammermusik auf orchestrale Effekte setzte.
Dieser üppig-generöse Geigenton ist es auch, der die eingangs nervös-unruhige Sonate von Saint-Saëns vergleichbar der Breite eines Weitwinkelobjektivs in all ihrer pastosen und romantischen-emotionalen Komplexität luxuriös Raum greifen lässt. Helen Huang beschreibt die Zusammenarbeit mit Paul als einen alchemistischen Prozess, der auf einem befreienden, gegenseitigen Vertrauen basiert. Das führt dazu, dass der Hörer den Eindruck eines instinktiven Dialogisierens zweier kongruent gestimmten Künstlerseelen gewinnt.
Bei so viel kaleidoskopischen Wirbeln und sich wandelnden Hörbildern könnte einem ganz schwindlig werden. Daher sind das kurze Cantabile in D-Dur, Op. 17 ms 109 von Niccolò Paganini und das bekannte Nocturne in Es-Dur, Op. 9 Nr. 2 von Frédéric Chopin in einer Transkription für Violine und Klavier von Pablo de Sarasate gut gewählte Ruhepole des Programms.
Hinweis: Paul Huangs Aufnahme von Toshio Hosokawas Violinkonzert „Genesis“ mit dem Residentie Orkest Den Haag wird im Winter 2024 bei NAXOS erscheinen.
Dr. Ingobert Waltenberger