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CD PARADISI GLORIA – Geistliche Chorwerke von D. SCARLATTI, B. RUBINO, A. LOTTI, und A. VIVALDI; aparte

08.05.2024 | cd

CD PARADISI GLORIA – Geistliche Chorwerke von D. SCARLATTI, B. RUBINO, A. LOTTI, und A. VIVALDI; aparte

Jean-Philippe Sarcos dirigiert Chor und Orchester von Le Palais Royal

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„Auf der Suche nach dem verlorenen Leben“ übertitelt Sarcos seine Gedanken zur italienischen Barockmusik des 18. Jahrhunderts. Unser Zeitgeist laufe konträr zur musikalischen Sprache etwa im Venedig des Settecento, wo Interpreten und Publikum die Codes und den Sinn der Werke verinnerlicht hatte. Natürlich haben sich seither auch die Hörgewohnheiten und Geschmäcker massiv verändert.

Noch heute sei es alles andere als einfach, eine Interpretation im Sinne von höchster Werktreue anzubieten, haben wir uns doch über die Jahrzehnte an historisch informierter Aufführungspraxis mehr oder minder an den puren „weißen“ Klang der englischen Stimmen (u.a. der Countertenöre), die stupende Homogenität der deutschen Chöre bzw. an die Glättung durch Studiomontagen, oder an alles zusammen, gewöhnt. Außerdem sei die Verschlüsselung, was Chorwerke in lateinischer Sprache, wie die hier aufgeführten, anlangt, beträchtlich, als kaum jemand noch der lateinischen Sprache kundig ist.

Le Palais Royal versucht, in seinen Interpretationen die Farben der gesungenen Vokale und die Akzente eines lebendigen Latein, die individuelle Freiheit der Timbres und die spirituelle Begeisterung an der Musik, wie sie aus dem 18. Jahrhundert überliefert ist, als Ausgangspunkt ihrer Lesarten zu begreifen. Was die Chorstimmen anlangt, so hat sich das französische Ensemble im Gegensatz zu jeglicher sterilen Perfektion dazu entschieden, aus einer gemeinsamen Energie und einem geteiltem Enthusiasmus heraus persönlichere Töne zuzulassen. Harmonie und Gleichgewicht werden nicht als heilige musikalische Tugenden betrachtet, sondern es gilt dazu, emotionale Spontanität auf Basis eines langsam erarbeiteten gemeinsamen Zugangs zu erreichen.

Hält die Realität der Aufnahmen den Ansprüchen stand? Um es kurz zu machen, ja. Positiv fällt im einleitenden „Iste Confessor“ von Domenico Scarlatti zugleich auf, dass vor allem die Soprane und Tenöre nicht im vibratolosen Raum agieren. In Bonaventura Rubinos „Lauda Jerusalem“ ist außer der großartigen Beherrschung des Kontrapunkts und der organischen Einbindung noch der kleinsten Noten in größere Sinnzusammenhänge die völlig natürliche, Top-Amateurchören ähnliche Lebendigkeit einer ungekünstelt religiösen, musikalisch kondensierten Begeisterung zu nennen.

Die außergewöhnliche Psalmvertonung des bei Bergamo geborenen Franziskanerpaters Rubino, der von 1643 bis 1665 als Chorleiter in der Kathedrale von Palermo wirkte, zeichnet sich durch tänzerische Rhythmen einer überaus heiteren Chaconne aus. Das Stück nimmt thematisch Anleihen aus einer „Bergamasca“ von Marco Uccellini. Es entzückt durch mannigfaltigen figurativen Zierrat, der vokal und instrumental abwechselnd um die Aufmerksamkeit des Hörers buhlt.

Eine größere Vielfalt an Stimmungen erleben wir in Antonio Lottis „Credo“-Komposition. Der Venezianer trat als Altist, Organist und Kapellmeister in San Marco in Erscheinung. Das in fünf Abschnitte gegliederte ‚Credo‘ (Credo, Crucifixus á 8, Et resurrexit, Et unam sanctam catholicam, Et vitam venturi saeculi) entstand während Lottis Aufenthalt in Dresden 1717 bis 1719 und gilt als Teil der „Missa Sancti Christophori“. Ebenda brachte er drei Opern heraus und schrieb eine „Festa teatrale“ anlässlich der Hochzeit des Prinzen Friedrich August von Sachsen mit Maria Josepha von Österreich.

Prunkvoll expressiv und beschwingt beginnt das Credo, wo die Stimmen ihre Glaubensbekundung über den rhythmisch hektisch pulsierenden Streichern antreten. Das gloriose Vokalensemble, das sich aus vier Sopranistinnen, zwei Altistinnen, jeweils drei Tenören und drei Bässen zusammensetzt, zelebriert einen vollen Klang, sinnlich vibrierend, charaktervoll (Soli im a cappella intonierten ‚Crucifixus‘) und textfit zupackend (‚Et resurrexit‘). Lautmalereien, schnörkelige Violineinwürfe und bestechende Kontrastwirkungen bestimmen den Duktus des fabelhaften Stücks. Die kurze Schlussfuge ‚Et vitam venturi‘ setzt den kompakten Schlussstein.

Im Zentrum des Albums seht das „Stabat Mater“ von Domenico Scarlatti für zehn Stimmen. Das Stück erzählt von den Leiden Marias zu Füßen Christie während dessen Kreuzigung. Die hochdramatische, musikalisch keinesfalls im Schatten von Pergolesis Kultversion stehende Vertonung Scarlattis glänzt mit chromatischen Freiheiten, polyphoner Komplexität und nicht zu vernachlässigen, opernhaft theatralischem Ausdruck. Die Musikerinnen und Musiker von Le Palais Royal; die bei diesem nicht sonderlich schmerzlich klingenden „Stabat Mater“ mit allem auffahren, was an stimmlicher und instrumentaler Exzellenz des Ensembles verfügbar ist, versetzen die Hörerschaft in einen erregten Rausch an Klängen, kosten verzückte Harmonien und die kontrapunktische Himmelfahrt bis zur Neige aus.

Den würdigen Abschluss des Albums bildet das knapp dreiminütige „Laetatus sum“, RV 607 auf die Worte des Psalms 121 von Antonio Vivaldi. Über ein auf- und absteigend wühlendes Ostinato-Geigengezirpe stülpt sich ein homophoner Chor, der um der Liebe der Brüder und Freunde willen um Frieden, Rast und Glück bittet.

Das im März 2023 in der Chapelle de Conflans, Charenton-le-Pont aufgenommene Album besticht abseits der musikalischen Qualitäten durch einen räumlich tief gestaffelten Klang, künstlerisches Genießertum und eine unbändige Energie: Religiöses Schürfen im Sinne von Lebenslust und Freude am Ensemblegesang.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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