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CD OTTORINO RESPIGHI: IAN BOSTRIDGE singt LIEDER; Pentatone

01.10.2021 | cd

CD OTTORINO RESPIGHI: IAN BOSTRIDGE singt LIEDER; Pentatone

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Nach Schuberts „Die schöne Müllerin“ legen Saskia Giorgini und der britische Barde Ian Bostridge ein Raritätenalbum mit 24 Liedern und Arrangements von italienischen und schottischen Volksweisen des Komponisten und Musikologen Ottorino Respighi vor. Die Pianistin Saskia Giorgini entdeckte die stimmungsvollen Stücke zu Beginn des Lockdowns 2020, als sie sich auf die Suche nach stärkender Musik für Herz und Seele machte.

Respighi ist am ehesten bekannt für programmatische sinfonische Titel (u.a. Feste Romane; Fontane di Roma; Pini di Roma; Gli Uccelli, Trittico Botticelliano), Ballettmusiken oder Werken für Klavier.

Musikalisch durchaus ansprechende Opern weit abseits der aktuellen Spielpläne der Opernhäuser hat Respighi auch geschrieben: „La bella dormente nel bosco“, „La Campana Sommersa“, die beide als Filmmitschnitte vorliegen, „Marie Victoire“ (cpo) oder „Lucrezia“ (Bongiovanni). Alle bei Hungaroton erschienenen, vom Dirigenten Lamberto Gardelli betreuten Studioproduktionen in herausragenden Besetzungen („Belfagor“, „Maria Egiziaca“, „Semirama, „La Fiamma“) sind aktuell leider nicht erhältlich.

Saskia Giorgini sieht in all diesen zwischen 1905 und 1930 geschriebenen Liedern die Sehnsucht nach einer nahen Vergangenheit als verbindendes Element. Die Vibrationen und der Nachhall der Erinnerung liegen noch in der Luft und dennoch ist alles endgültig dahin. Das Album ist ein klingendes Tagebuch des Künstlers, seiner intimen Innenwelt und der Zivilisation, die er lebt. Etliche seiner Lieder hat Respighi der Mezzosopranistin und „sweet friend“ Chiarina Fino Savio gewidmet, deren spezielles Timbre ihn anzog und inspirierte.

Als 25-jähriger Komponist, der in Bologna beim Wagnerianer Giuseppe Martucci studierte, begann Respighi für sich die Welt der Lieder zu entdecken und zu erkunden. Der Büchernarr Respighi wählte Poesie zur Vertonung, die einen Spiegel der italienischen Literatur im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts repräsentieren: Gabriele d’Annunzio, Ada Negri, Vittoria Aganor Pompilj, Antonio Rubino und der Franzose Albert Samain.

Natur, Mythen, Volkstümliches: Respighis Absicht lag wohl darin, den rasant fortschreitenden technologischen Entwicklungen die Mysterien der Natur mit ihren verwünschten Wäldern, Faunen und Kobolden, Pan und Eros, also eine kunstsinnig gebaute traum- und märchenhafte Begegnungszone, entgegenzustellen. Einige Lieder, wie „Acqua“, „Crepuscolo“, „Au milieu du jardin“, „Notte“ oder „Nebbie“ scheinen mit ihren reich gewebten Harmonien und für den Sänger unbequemen Intervallsprüngen „in Stille vor einem immanenten Wunder“ (Raffaele Mellace) zu verharren.

Wieder andere von Respighis Liedern scheinen in den impressionistischen Farben nicht zuletzt des Klavierparts stilistisch an Debussy oder Ravel angelehnt, wenngleich hie und da auch sein Interesse an Musik vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert kräftig durchschimmert. Auch Schumann, Wagners „Tristan“ und Duparc haben ihre klanglichen Spuren gelegt. Die letzten sechs Lieder der CD sind vier schottischen Songs, einer „Canzone sarda“ sowie der Canzone dell’Abruzzo „Le Funtanelle“ gewidmet.

Ian Bostridge ist in seiner fein ziselierten und sehr am Wort orientierten Manier, Lieder zu singen, wohl ein sehr guter Interpret dieser „Art déco“-Musik. Obwohl die Stimme in der Höhe trockener und in der Tiefe fragiler geworden ist, kann Bostridge noch immer mit einer luxuriösen Mittellage, schönen Piani, einem eminenten Stilempfinden, einer beeindruckenden  Wortdeutlichkeit und seiner berühmten Phrasierungskunst punkten. Saskia Giorgini am Flügel edelt das Album mit perlenden Tonkaskaden.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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