CD: OTHMAR SCHOECK: ORCHESTERLIEDER • Berner Symphonieorchester, Graziella Contratto
Weltersteinspielung
Eine lohnende Entdeckung!
Der 1886 in Brunnen am Vierwaldstättersee geborene Othmar Schoeck ist einer der wichtigsten Schweizer Komponisten des 20. Jahrhunderts. In seinem der deutsch-österreichischen Spätromantik verpflichteten Werk steht das Lied im Zentrum.
Die Schweizer Dirigentin und Musikpädagogin Graziella Contratto hat nun mit dem Berner Symphonieorchester und den Solisten Olena Tokar und Stephan Genz «Nachhall op. 70» (Liederfolge für Singstimme und Orchester nach Gedichten von Nikolaus Lenau und Matthias Claudius) sowie «Drei Lieder von Heinrich Heine op. 4» (Bearbeitung für Sopran und Orchester von G. Contratto) und «Acht Lieder op. 17» (Bearbeitung für Sopran und Orchester von G. Contratto) eingespielt.
Schoeck erhielt ersten Klavierunterricht noch im schwyzerischen Brunnen, bevor er zur weiteren ans Konservatorium nach Zürich wechselte und bei Friedrich Hegar, Lothar Kempter, Karl Attenhofer und Robert Freund studierte. 1907 und 1908 besuchte er die Meisterklasse für Komposition bei Max Reger in Leipzig. Neben seiner Tätigkeit als Komponist, war Schoeck in Zürich als Pianist und Chorleiter tätig und von 1917 bis 1944 als Kapellmeister des Orchesters des Konzertvereins St.Gallen der Leiter der Symphoniekonzerte in der dortigen Tonhalle. Als Komponist hatte Schoeck in Deutschland rasch Erfolg, was er seiner weitreichenden Kenntnis der deutschen Literatur und seinem phänomenalen Gedächtnis, das ihn viele Gedichte auswendig vortragen liess, verdankte. Dort lernt er auch seine spätere Gattin, die deutschen Sängerin Hilde Bartscher (1898–1990) kennen. Am 1. März 1937 erhielt Schoeck den Erwin-von-Steinbach-Preis der bis heute wegen des schwierig einzuordnenden Verhältnisses ihres Gründers Alfred Toepfer zum Nationalsozialismus umstrittenen Stiftung F.V.S. Die bedenkenlose Annahme durch Schoeck wird vermutlich durch seine Furcht den wichtigen deutschen Markt zu verlieren, die Uraufführungen von «Massimilla Doni» 1937 in Dresden oder von «Das Schloss Dürande» 1943 in Berlin, nicht aufs Spiel zu setzen zu erklären sein. Gegen Ende des Kriegs kam Schoeck in die Schweiz zurück, wo er noch einige wenige Erfolge, mit denen er allerdings nicht zufrieden war, feiern konnte. Am 8. März 1957 starb Schoeck in Zürich.
Contratto, wie Schoeck ebenfalls in Brunnen geboren, besuchte wie der Komponist die Töchterschule des Theresianums Ingenbohl und spielte als Jugendliche in örtlichen Laienorchestern, deren ältere Mitglieder Schoeck noch persönlich gekannt hatten. So fühlt sich Contratto, die in Schoecks Werken Anklänge ihrer «gemeinsamen» Umgebung am Ufer des Vierwaldstättersees, das Schimmern der Seeoberfläche, das Rauschen, der föhnumpeitschten Berggipfel, den Muotathaler Naturjodel und hie und da archaische Rhythmen aus den Fasnachtstänzen der Gegend herauszuhören glaubt, dem Komponisten besonders verbunden. Ab 2016 änderte sich Contrattos Beziehung zu Othmar Schoecks Schaffen: «Ab da betrachtete ich ihn nicht mehr aus meiner früheren, etwas naiven Innerschweizer Warte, sondern entdeckte neue Facetten – begeisternde und zwiespältige – in seinem künstlerischen Universum. Mich interessierte der Widerhall von biographischen und historischen Ereignissen im Schaffen des Komponisten, ich forschte nach Indizien einer korrosiven oder lackierenden Ästhetik. Am Ende stand meine Absicht fest: Ich wollte mich dem Liedschaffen aus Schoecks Hand als Arrangeurin und Interpretin nähern, um gleichsam in die kompositorische Faktur einzutauchen, immer auf der Suche nach neuen Erkenntnissen für mich als Nachgeborene» (zitiert nach dem Booklet der Einspielung).
Die Liederfolge für Singstimme und Orchester «Nachhall op. 70» nach Gedichten von Nikolaus Lenau und Matthias Claudius stammt aus Schoecks letzten Schaffensjahren und lässt die Resignation des über Sechzigjährigen spüren. In den in das Umfeld der Leipziger zu datierenden «Drei Lieder von Heinrich Heine op. 4» und «Acht Lieder op. 17» dominiert entsprechend die Kraft und Eingebung der Jugend.
Berner Symphonieorchester unter musikalischer Leitung von Graziella Contratto erweist sich als sensibler Liedbegleiter. Die Solisten Olena Tokar (Sopran) und Stephan Genz (Bariton) interpretieren Schoecks Preziosen mit grosser Textverständlichkeit und tiefer Emotion.
Eine lohnende Entdeckung!
11.04.2024, Jan Krobot/Zürich