CD „OPERA RARITIES“ – ORFEO-Sonderedition zum 40. Geburtstag des Labels
Das Beste zum Schluss
Das Klassiklabel Orfeo, deren goldenem Ableger Orfeo d‘or wir nicht nur hervorragende Opern- und Konzertmitschnitte (Bayerische Staatsoper live, Bayreuther Festspiele live, Deutsche Oper am Rhein, Salzburger Festspieldokumente, Wiener Staatsoper live) verdanken, feiert seinen erwachsenen 40. Geburtstag. Aus diesem Anlass wurden bereits die Boxen „Legendary Voices“, „Legendary Pianists“, „Legendary Conductors“ und „40 Ultimate Recordings“ veröffentlicht, allesamt empfehlenswert.
Nun aber hat das Label sechs veritable Opernraritäten (teils Studio, teils live) als letztes (?) Geschenk an Sammler und Melomanen publiziert. Klar, dass die heiß begehrten Gesamtaufnahmen schon erhältlich waren (Vinyl, CD), aber dies nicht eben zu einem günstigen Preis.
Das Hauptaugenmerk wurde damals generell auf hochkarätig besetzte Einspielungen selten aufgeführter Gluck- (da gibt es auch eine Oper, die „La Corona“ heißt im Angebot) und Dvorak-Opern gelegt, aber auch Opern-Juwelen von Jommelli, Spohr, Spontini, Suder oder Udo Zimmermann fanden so abseits der großen Marktgiganten ihre gut ausgeleuchtete Nische.
Was die Besetzungen anlangt, ließ man sich bei Orfeo nicht lumpen: Cotrubas, Varady, Fischer-Dieskau, Norman, Gedda, Gambill, Lorengar, Edda Moser, Milcheva, Söderström, Fassbaender oder Ruth-Margret Pütz hießen nur einige der Stars, deren Kunst noch in ihren Glanzzeiten abseits der üblichen Mozart,- Verdi oder Puccini Gassenhauer für die Ewigkeit bewahrt wurde. Dass mit dieser generös mutigen Unternehmenspolitik nicht immer der gewünschte kommerzielle Erfolg einherging, führte zwischendurch zu veritablen Krisen. Die scheinen überstanden. Daher wollen wir uns den sechs nun in einer Box von 10 CDs gebündelten Opern zuwenden:
Giuseppe Gazzaniga: Don Giovanni o sia Il Convitato di Pietra (1787) mit John Aler, Eva Steinsky, Pamela Coburn, Margit Kinzel, Günter von Kannen, Julie Kaufmann, dem Münchner Rundfunkorchester, Dirigent: Stefan Soltesz; Aufnahme: 26.5.-6.6.1990, Studio 1 des Bayerischen Rundfunks
Eine spannende Alternative zu Mozarts „Don Giovanni“, ein halbes Jahr zuvor uraufgeführt. Auch hier gib es einen Diener Pasquariello samt Registerarie, eine abendliche Festszene und die Höllenfahrt des unter nihilistischem Verführungszwang leidenden Frauenhelden. Beim Karneval 1787 soll es zum diabolischen Schluss ein Feuerwerk, zu dem eine Tarantella getanzt wurde, gegeben haben. Als ältere Studioproduktion der Oper (1990) macht die Opernaufnahme von Besetzung und Leitung her zur Sony-Konkurrenzeinspielung (2002) mit Johnson, Furlanetto, Smytka, Serra, dem Tafelmusik Baroque Orchestra unter Bruno Weil eine exzellente Figur.
Georges Bizet: Djamileh (Opéra comique 1872) mit Lucia Popp, Franco Bonisolli, Jean-Philippe Lafont, dem Münchner Rundfunkorchester, Dirigent: Lamberto Gardelli; Aufnahme: Bayerischer Rundfunk 28.5.-3.6.1983
Außer einer wahrlich historischen Aufnahme des Radio-Orchesters Moskau aus dem Jahr 1936 gibt es nur noch eine von Jacques Mercier dirigierte und eine weitere aus Polen stammende Aufnahme (2018) dieser exotisch instrumentierten französischen Kurzoper. Die statische Handlung basierend auf einer Liebesgeschichte zwischen dem Kalifen Harun und einer Sklavin ist heute sicher nur schwer auf einer Bühne vermittelbar. Aber die „Carmen“ bereits ankündigende Musik wird vom Münchner Rundfunkorchester ganz prächtig musiziert und lohnt das Kennenlernen. „Djamileh“ mit dem Luxussopran von Lucia Popp und einem für dieses Fach erstaunlich flexiblen und disziplinierten Franco Bonisolli ist ein idealer Fall für Tonträger.
Antonín Dvořák: Armida mit Borowska, Daniluk, Fortune, Podskalsky, Ochman, dem Kammerchor Prag, dem Czech Philharmonic Orchestra, Dirigent: Gerd Albrecht, live-Aufnahme: Rudolfinum Prag, 22.5.1995
Diese glänzende Aufnahme der letzten vollendeten Dvorak-Oper ist mein persönlicher Favorit der Box. Vom melodischen Duktus, dem Raffinement, dem Abwechslungsreichtum der Partitur und von der Dramatik her ist die enge musikalische Verwandtschaft zu „Rusalka“ nicht zu leugnen. Warum die eine Oper so erfolgreich ist und die andere sich nicht auf den Bühnen behaupten kann? Das liegt wohl am märchenhaften Sujet von „Rusalka“. Die Partitur der „Armida“ auf Torquato Tassos „Das befreite Jerusalem“ ist meisterlich. Unglaublich, dass außer einer tschechischen Produktion der 50-er Jahre nur noch der Sammlern wegen der Mitwirkung der jungen Caballé bekannte Live-Mitschnitt aus Bremen unter der musikalischen Leitung von George Alexander Albrecht erhältlich ist. Johanna Borowska als in den Kreuzritter Rinaldo verliebte Zauberin berührt in der Titelpartie mit ihrem warmen leuchtenden, lyrischen Sopran. Vier große Rollen für Bariton/Bass und eine für Tenor (eindringlich Wieslaw Ochmann) stempeln der Oper ihr unverwechselbares slawisch-romantisches Profil auf.
Zdeněk Fibich: Sarka mit Dalibor Jenis, Janez Lotric, Vladimir Kubovcik, Ida Kirilova, Eva Urbanova, dem Wiener Konzertchor, dem Radio-Symphonieorchester Wien, Dirigent: Sylvain Cambreling, live-Aufnahme: Wiener Konzerthaus 8.5.1998
Das hochdramatische Libretto rund um die Amazone Sarka und die tragische endende Liebesgeschichte zu Premysls feschem Krieger Citrad gäbe eine taugliche Grundlage für einen Netflix-Historienreißer ab. Geschlechterkampf à la „Penthesilea“ auf böhmisch. Sarka verrät ihrer Liebe wegen ihrer Gefährtinnen, die allesamt umkommen. Die Oper endet im Wahn der Heldin und deren Selbstmord. Gewaltige Chortableaus wechseln mit intimeren Szenen ab. Die Musik orientiert sich in Harmonik und Leitmotivtechnik an Wagner. Schon die Ouvertüre taugte als Filmmusik zum Niederknien. Ganz große romantische Oper im Breitwandformat.
Jules Massenet: Thérèse mit Agnes Baltsa, Francisco Araiza, George Fortune, Giancarlo Luccardi, Gino Sinimbergh, dem Orchestra Sinfonica di Roma della RAI, Dirigent: Gerd Albrecht; Aufnahme: Auditorium del Foro Italico, Roma, 10.-14.2.1991, Vari Recordings Fonit Cetra
Agnes Baltsa und Francisco Araiza auf dem Zenit ihrer Karriere widmen sich diesem Einakter, der in der Zeit der Französischen Revolution angesiedelt ist, mit Verve, glühender Passion und exquisiter Stimmkultur. Mit dem Girondisten André Thorel verheiratet, liebt Thérèse den Adeligen Armand de Clerval. Ihr Pflicht- vielleicht auch Schuldbewusstsein führt sie final gemeinsam mit ihrem Gatten zur Guillotine.
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Ruggero Leoncavallo: La Bohème mit Lucia Popp, Franco Bonisolli, Bernd Weikl, dem Münchner Rundfunkorchester, Dirigent: Heinz Wallberg; Aufnahme: Studio 1 des bayerischen Rundfunks, 11.-22.11.1981
Popp, Bonisolli und Weikl stellen sich erfolgreich und stimmmächtig in den Dienst der „Bohème“ von Leoncavallo. Ein Sängerfest. Vor langer Zeit gab es beim Label Melodram einen technisch problematischen Schwarz-Mitschnitt einer Aufführung aus dem Teatro San Carlo in Neapel vom 19.2.1958 mit Ettore Bastianini unter Molinari-Pradelli. Ein Jahr jünger als Puccinis gleichnamige Oper ist das reale Leben der Künstlergemeinschaft bei Leoncavallo weniger romantisierend dargestellt. Lucia Popp und Franco Bonisolli in Höchstform singen himmlisch gut. Unverzichtbar.
Die Aufnahmen sind aufnahmetechnisch vom Allerfeinsten mit sehr präsenten, klar und natürlich abgebildeten Stimmen.
Dr. Ingobert Waltenberger