CD „OCTETS“: QUATUOR ÉBÈNE und BELCEA QUARTETT mit Streichoktetten von Mendelssohn und Enescu; Erato

Elfenreigend wie der „Sommernachtstraum“ aus etwa derselben Zeit ist des 16-jährigen Mendelssohn großes Streichoktett in Es-Dur, Op. 20, ein gleichberechtigt auf acht Stimmen verteiltes romantisches Meisterwerk eines Frühreifen. Seinem Geigenlehrer Eduard Rietz postum gewidmet, gelangte das mit nun über 30 Minuten Spielzeit noch immer in seinen kammermusikalischen Dimensionen überbordende Stück erst nach erheblichen Kürzungen 1833 an die Öffentlichkeit. Freilich wurde es zuvor in den Salons der Familie Mendelssohn in der Berliner Leipziger Straße gespielt. Mendelssohn hatte sich an der Form des Streichquartetts bereits 1823 versucht.
Im Streichoktett lässt der junge Komponist seinen vielgestaltigen und kontrastierenden Emotionen in freiem Galopp laufen. Im Kopfsatz ‚con fuoco‘ huldigt Mendelssohn einem spielhaft energetischen, lustvollen Miteinander der acht Streicher, lässt die Stimmen in ihrer komplexen Verwobenheit jedoch nicht ins Symphonische einschmelzen. Das atmosphärisch von in sich gekehrter Nachdenklichkeit zu schubertischer Freundschaftsrhetorik sich aufschwingende Andante, das duftig feenhaft durch die Luft sausende Scherzo – laut Schwester Fanny inspiriert vom Walpurgisnachtstraum aus Goethes „Faust I“ („Wolkenzug und Nebelflor, erhellen sich von oben. Luft im Laub und Wind im Rohr, und alles ist zerstoben“) – und das rasante Fugato Presto als ungestümes Perpetuum mobile sind musikalische Freudenbringer erster Ordnung. Sie geben den rhythmisch straff und dennoch behände aufspielenden Quartetten Ébène und Belcea Gelegenheit, in dynamischer Feinjustierung, präzisem Kontrapunkt und einer stupend elastischen Synchronität glänzend zu reüssieren, wie das nur ganz selten zu erleben ist. Dass sie dabei noch ihre jeweiligen individuellen Charaktertugenden als Streichquartette in Artikulation und stets sanglicher Anmut bewahren können, grenzt an ein Wunder.
Bei Mendelssohn ist das Quatuor Ébène (Pierre Colombet Primgeiger, Gabriel Le Magadure zweite Geige, Marie Chilemme Viola, Yuya Okamoto Cello) an den ersten Pulten, beim Enescu Oktett ist es das Belcea Quartet (Corina Belcea, Suyeon Kang, Krzysztof Chorzelski, Antoine Lederlin).
George Enescu hat sein Oktett in C, Op. 7, mit 18 Jahren vollendet. Das im Vergleich zu Mendelssohn wesentlich orchestraler und dramatischer inszenierte Stück erfährt in der so dicht gewebten, streichergleißenden wie rhythmisch/strichtechnisch überaus prononcierten Interpretation durch die beiden Quartette eine packende Dringlichkeit. Das ‚Lentement‘ schimmert in überirdisch silberner Pracht wie schönster Richard Strauss. Der ‚Mouvement de valse bien rytmée‘ präsentiert sich als wilde, Ravels „La valse“ vorwegnehmende rauschhaft-diabolische Klangvision, die das Quatuor Ébène und das Belcea Quartet in einem musikalisch aberwitzigen Feuerball exzentrisch auflodern lassen.
Dass die beiden Spitzenensembles aus Frankreich und England, bevor sie das Album im Juli 2025 im Schloss Elmau einspielten, sich in internationalen Auftritten darauf intensiv vorbereiten konnten, ist in jeder Sekunde in Sachen Animo und moussierend züngelnder Klangrede spürbar.
Von Erato Youtube zur Verfügung gestellte Kostprobe: String Octet in E-Flat Major, Op. 20, MWV R20: III. Scherzo. Allegro leggierissimo
https://www.youtube.com/watch?v=gpEIWJpam4k&list=RDgpEIWJpam4k&start_radio=1
Dr. Ingobert Waltenberger

