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CD „OCEANIC“ – IVETA APKALNA spielt Musik für Orgel und Orchester von BERND RICHARD DEUTSCH, MAURICE RAVEL, JEAN SIBELIUS und ERIKS ESENVALDS; Berlin Classics

15.04.2023 | cd

CD „OCEANIC“ – IVETA APKALNA spielt Musik für Orgel und Orchester von BERND RICHARD DEUTSCH, MAURICE RAVEL, JEAN SIBELIUS und ERIKS ESENVALDS; Berlin Classics

Stimmen des Ozeans- von den vielen Gesichtern des Meeres: Sanftes Schaukeln, Spiel der Wellen, Stürme, zerstörerische Tsunamis

Veröffentlichung: 21.4.2023

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Die ZDF-Serie „Der Schwarm“ nach dem gleichnamigen Roman von Frank Schätzing erzählt vom Kampf der Menschheit gegen eine unbekannte Schwarmintelligenz, die in den Tiefen des Meeres gegen alle Küstenbewohner tödlich wütet. An die faszinierenden Bilder von den stets wechselnden Farben, der Oberflächen-Morphologie und Urwu(ch)t des Meeres auf der Leinwand des Science-Fiction Thrillers musste ich denken, als der in seinem vulkanischen Grummeln, seinen aufschäumenden Wellen mit immenser Leuchtkraft und rätselhaftem Flirren wohl einzigartige erste Satz des Orgelkonzerts „Okeanos“ von Bernd Richard Deutsch sofort den Raum beherrschte. Die vier Sätze sind den Elementen Wasser, Luft, Erde und Feuer gewidmet. Es ist ein bedrohlicher archaischer Gott, dieser Okeanos, den Bernd Richard Deutsch in originellen Klangballungen und dicken Spachtelfarben übergroß projiziert. Okeanos ist griechischer Mythos, Ursprung des Seins, aber auch ehrfurchtgebietender Grenzzieher. Mit seiner Gattin, der Meeresgöttin Tethys, lebte er im Streit. Das Urpaar konnte daher auch keine weiteren Nachkommen mehr zeugen. So ist alles möglich, wenn das Wasser einerseits Fruchtbarkeit den Böden, Nahrung und Vergnügen den Menschen, andererseits mit launischem Zorn niederschmetternde Vernichtung bringt.

Deutsch ist ein unvergleichlicher Meister der Dramaturgie, aber auch der schroffen Kontraste, der kühnen Instrumentierung und des konzertierenden Einsatzes der Orgel in einem sehr persönlich gewichteten Ineinander mit dem Orchester. Kein Wunder, dass die Solistin des Albums, die Lettin Iveta Apkalna dieses besondere, in der Intensität und scharfen Rhythmik an Stravinskys „Le sacre du Printemps“ erinnernde Werk als das beste zeitgenössische Orgelkonzert überhaupt sieht.

Die Titularorganistin der Klais-Orgel der Hamburger Elbphilharmonie ist aber auch für Ēriks Ešenvalds „Voice oft he Ocean“, einem dreisätzigen Konzert für Orgel, Flöte, Streichorchester und Schlagzeug, authentische Anwältin. Wie Deutsch 1977 geboren, schrieb der musikalische Mystiker Ešenvalds sein Orgelkonzert „Okeana Balss“ anlässlich der Wahl Rigas zur europäischen Kulturhauptstadt. Die Widmungsträgerin Apkalna spielte die Uraufführung des Konzerts 2014 in der Kathedrale von Riga. In der vorliegenden Weltersteinspielung übernahm Kristin Hammerseth die Flötensoli. Weit davon entfernt, in esoterische Gefühligkeit abzugleiten, fasziniert besonders das ‚Maestoso‘ im dritten Satz. In der Musik ist der gelernte Chorsänger und -komponisten nicht zu verkennen. Wie in seinen vielschichtig mesmerisierenden Chorwerken („Translations“) beschäftigt sich Ešenvalds mit Transformationen, die in uns geschehen, wenn wir der Kraft der Natur oder dem Göttlichen begegnen.

Dazu musiziert Apklana zwei Klassiker des Genres: „Une barque sur l’Océan“ (1905) von Maurice Ravel und „Die Okeaniden“ von Jean Sibelius. Die geheimnisvolle Natur mit ihren Stimmungen galt als idealer, jede Harmoniefantasie anstachelnder Inspirationsfundus für den französischen Impressionismus. Was ergäbe dafür ein markanteres Bild, als die kleine schwankende Barke, die den Fährnissen des Wetters und den Dünungen der Meeresoberfläche ausgesetzt ist. Ravel widmete das ursprünglich für Klavier komponierte Stück aus dem Zyklus „Miroirs“ dem Maler Paul Sordes.

Von Debussys „La mer“ fasziniert, schrieb Sibelius ein „Ronde der Wellen“, das er auf der Überfahrt in die USA zum Norfolk-Festival des Ehepaars Stoeckel erlebnisecht umarbeitete und nach den Wassernymphen der griechischen Mythologie in „Die Okeaniden“ umtaufte.

Iveta Apkalna bedient die 2013 eingeweihte Orgel des Stavanger konserthus‘ der norwegischen Orgelbauer Ryde&Berg mit aufregender Virtuosität und kraftvoller Attacke. Das mit sonorer Lust aufspielende Stavanger Symphony Orchestra unter der Leitung von Andris Poga gibt den wütenden Elementen plastische Klanggestalt. Die audiophile Tonqualität ist schlichtweg atemberaubend.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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