CD „O lieb!“ CYRILLE DUBOIS: Lieder von FRANZ LISZT – aparte music
Lieder und Mélodies von Franz Liszt: Labor der Moderne und Gefühlswechselbäder der Liebe
Cyrille Dubois, französischer lyrischer Tenor, hat sich 2018 vor allem als Interpret französischer Opern-Raitäten einen Namen gemacht. So wirkte er in Hauptrollen in den qualitativ hervorragenden Gesamtaufnahmen von Antonio Salieris „Les Horaces“, Jacques Fromental Halévys „La reine de Chypre“ und Georges Bizets „Les pêcheurs de perles“ mit.
Der großartige Stilist mit seinem instrumental schlank geführten und exzellent fokussierten Tenor nimmt sich auf seiner neuen Lied-CD gemeinsam mit Klavierpartner Tristan Raës
dem reichen Liedschaffen von Franz Liszt an. In drei Sprachen, die er von Diktion und Artikulation her gleichermaßen gut beherrscht, deutsch (15 Lieder), französisch und italienisch (jeweils 4 Lieder), überrascht uns Dubois mit einem breiten Fächer an emotional und atmosphärisch völlig unterschiedlichen Gesängen.
Das junge Duo Dubois und Raës hat an Liszts Liedern außer der üppigen Expressivität (volksliedhaft schlicht ist da wenig) und grenzüberschreitenden Modernität der Tongebung vor allem fasziniert, wie in gleichermaßen glutvoller Intensität der jeder Sprache und Kultur jeweils spezifisch immanente Ausdruck an Liebesglück und -leid erfasst wird: deutsch romantisch schwärmend über die Poesie eines Heine, Schiller, Rellstab oder Goethe, wo der Anruf der tröstenden Natur dem liebenden Jüngling hilft, scheu seine Gefühle zu offenbaren. Die Geschmeidigkeit der Verse Victor Hugos wandelt Liszt musikalisch in den zauberhaftesten Pariser Charme, während nicht nur in den Petrarca-Sonetten das Italienische ohnedies die ideale Sprache der Liebe darstellt. Liszt hat sich, nachdem er an die vierzig Schubert Lieder für Klavier solo transkribiert hat, ab dem Jahr 1840 selbst der Kunstform Lied intensiv gewidmet.
Da hat Dubois Autobiographisches gewählt, wie „Angiolin dal biondo crin“, ein für seine ältere Tochter Blandine geschriebenes Wiegenlied oder „Die Zelle in Nonnenwerth“ als Meditation über die gleichnamige Rheininsel, wo er einige Sommer mit Marie d‘Agoult verbracht hat. Die Petracra Sonette in der ersten Fassung von 1846 mit den wunderbaren Wortspielen rund um “lauro” (Lorbeerbaum) und die Angebetete Laura glücken Dubois inkl. hohem C ebenso wie die heiter bukolische Naturschwärmerei “S’il est un charmant gazon” oder die erotische Träumerei rund um einen Kuss “Quand je dors”.
Den größten Teil des Albums nehmen deutsche Lieder ein. Die bekannten “Liebestraum O lieb” , “Liebeslust”, aber auch “Morgens steh ich auf”, “Was Liebe sei”, “Bist du”, “nimm einen Strahl der Sonne” oder das aus Verrat und tiefer Verlassenheit dunkel speiende “Vergiftet sind meine Lieder” sind gute Beispiele der typisch liebesbedingt seelischen Befindlichkeit des Tonsetzers zwischen “himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt”.
Was dem jugendlich hellen Tenor Cyrille Dubois‘ (noch) an Farben und gedeckt dramatischer Höhe abgeht, kann er mit Feuer, Agilität, Direktheit und Passion im Vortrag als auch einer Identifikation ohne Wenn und Aber sowie einer beispielhaften Textdeutlichkeit wettmachen. Pianist Tristan Raës ist nicht bloß Begleiter, sondern ein mit dem Solisten auf Augenhöhe den eigenständigen und hochvirtuosen Klavierpart intensiv gestaltender Musiker. Davon, dass die beiden ein hervorragend eingespieltes Team sind, profitiert das traumwandlerisch sichere Miteinander in frischem Ausdruck und künstlerischem Wagemut.
Die CD bietet mit über 82 Minuten Spielzeit auf jeden Fall jede Menge an erstklassigem Liedgesang. Sie ist in ihrer Qualität ein starkes Lebenszeichen einer schwindenden Musikgattung, die Artenschutz ebenso bräuchte wie unsere gefiederten oder sonstigen Lieblinge draußen in der Natur, die sie oft so unnachahmlich poetisch besingt.
Dr. Ingobert Waltenberger