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CD NINO ROTA „IL CAPPELLO DI PAGLIA DI FIRENZE“ – Farsa musicale nach dem Vaudeville ‚Un chapeau de paille d’Italie‘ von Eugène Labiche und Marc Michel; Capriccio

08.03.2023 | cd

CD NINO ROTA „IL CAPPELLO DI PAGLIA DI FIRENZE“ – Farsa musicale nach dem Vaudeville ‚Un chapeau de paille d’Italie‘ von Eugène Labiche und Marc Michel; Capriccio

Studioproduktion aus der Oper Graz (29.3. bis 1.4.2021)

0845221054667

Nino Rota, Mailänder Wunderkind, ist vor allem für seine bunt changierenden Filmmusiken bekannt. Unter den 160 Filmen, zu denen er Musik lieferte, finden sich Blockbuster wie „La Strada“, „Amarcord“, „Krieg und Frieden“ oder „Tod auf dem Nil“. Für den Soundtrack zum „Paten II“ heimste er 1974 den Oscar für die beste Originalpartitur ein.

Dass der Erfolg seiner Kreationen für die Leinwand nicht unbedingt Garant dafür war, dass er auch als Komponist klassischer Genres allzu ernst genommen wurde und wird, dieses Schicksal teilt er nicht zuletzt mit Kollegen wie Korngold, Rózsa oder Herrmann. Weniger mit den komponierenden Sowjetgrößen Shostakovich, Prokofiev oder Schnittke, schlichtweg deshalb, weil wir die meisten der Filme, zu denen die drei Tonsetzer Musiken geschrieben wurden, nicht einmal vom Hörensagen kennen.

Unter den zehn Opern, die der Scalero-Schüler Nino Rota schrieb, war die dritte 1944/45 in Bari entstandene, hier zu hörende musikalische Komödie “Florentinerhut“ die erfolgreichste. Obwohl erst 1955 orchestriert und in Palermo uraufgeführt, bietet dieses auf ein Libretto des Komponistenehepaars verfasste Stück stilistisch in der Nachfolge u.a. von Puccinis „Gianni Schicchi“ und den Komödien des Venezianers Wolf-Ferrari spielerisch leichte und dennoch musikalisch raffiniert kunstvolle Unterhaltung.

Die Opernmusik Rotas hat ein eigenständiges Flair. Obwohl Rota sich wie ein Schwamm die Eigenheiten des Belcantos (Rossini, Donizetti, Bellini), die Ironie der Operetten von Offenbach, die veristische Kunst des Puccini, als auch die Instrumentierungsfinesse von Richard Strauss zu Eigen gemacht hat, klingt „Il cappello di paglia di Firenze“ nicht irgendwie nach irgendwas. Rota bleibt stets originell in seiner spezifischen Art, Musiktheater zu machen und Texte dramaturgisch folgerichtig in Töne zu setzen. Oder hören Sie sich die beiden dramatischen Orchesterzwischenspiele nach dem ersten und dem dritten Akt an. Sie werden staunen, wie symphonisch anspruchsvoll hier Rota zu Werke geht.

In Anbetracht der Entstehungszeit darf die Oper zwar als eskapistische Kunst gelten, wenngleich Bari und das nahe Torre a Mare (Sitz einer Spezialeinheit des britischen Geheimdienstes) schon im befreiten Teil Italiens lagen. Natürlich war und ist es nicht vermessen, auch in politisch unsicheren Zeiten alles Ungemach und alle Düsternis hinter sich lassen zu wollen und der Kunst der Komödie zu huldigen. Nino Rotas Eigeneinschätzung dazu: „Wenn jemand sagt, dass alles, was ich in meiner Musik zum Ausdruck zu bringen versuche, ein wenig Nostalgie, viel herzlicher Humor und Optimismus ist, dann entspricht das genau dem, wie man sich später an mich erinnern soll: Mit ein bisschen Nostalgie, viel Optimismus und gutem Humor.“

Durchkomponiert und nicht zuletzt dank der Anleihen des Komponisten aus seinen Filmmusiken zu Raffaello Matarazzos „Il birichino di papà“, Mario Soldatis „Le miserie del signor Travet“ bzw. zu Federico Fellinis „Lo sceicco bianco“ sehr effektvoll, erreicht Rota mit den rasch aufeinander folgenden rezitativischen und ariosen Abschnitten ein irres Tempo. Das wiederum entspricht dem Duktus der Komödie mit dahin rasenden Slapstick-Elementen, in der ein verfressener Droschkengaul Auslöser für typisch italienische Irrungen und Wirrungen rund um die Heirat eines jungen Paars bzw. außereheliche Vergnügungen einer angesehenen Bürgerin wird.

Blöderweise verzehrt das unschuldige Pferdchen des Fadinard nämlich während einer Rast einen Teil des Strohhutes der verheirateten Anaide auf Abwegen. Die Ehre will es, dass sofort ein identischer Ersatz her muss. Das bringt nicht nur die für denselben Tag anberaumte Verehelichung des Fadinard mit Elena durcheinander, sondern genügt, um in vier Akten und 42 Szenen die ganze Hochzeitsgesellschaft in unvergleichlicher Verwechslungsmanier durcheinander zu wirbeln.

Die Lösung des Falls erweist sich am Ende als durchaus einfach: Die als Geschenk für die Braut gedachte Hutschachtel von Vézinet, des tauben Onkels der Braut, das er in der ersten Szene an den Diener Felice übergibt, enthält genau den gleichen Strohhut, nach dem so sehnsüchtig gesucht wird. Fazit: Anaide und Emilio können da lustvoll weitermachen, wo sie aufgehört haben. Fadinard und Elena dürfen heiraten, ohne weiter fürchten zu müssen, dass der bräutliche Papa dazwischenfunkt.

13 Solorollen zählt die Oper. Die wichtigste ist die Tenorrolle des Fadinard, mit der etwa Juan Diego Flórez 1998 an einer Produktion an der Mailänder Scala reüssierte. An der Grazer Oper übernahm diese dankbare Rolle Piotr Buszewski, die er mit tenoralem Schmelz, Durchschlagskraft und gehöriger Textverständlichkeit wieder in einer Aufführungsserie an der Grazer Oper im Mai und Juni dieses Jahres singen wird. Seine Elena ist die ukrainische lyrische Sopranistin Tetiana Miyus, die mit fliegenden Koloraturen in die Ehe stolpert. Das zweite, nicht wirklich legitime Liebespaar wird vom glanzvollen Mezzo der Antonia Cosmina Stancu (Anaide) und dem polnischen Bariton Dariusz Perczak (Emilio) verkörpert. In weiteren Rollen dieser anrührenden wie humorvollen Ensembleoper sind Anna Brull als Baronessa di Champigny, Daeho Kim als Nonancourt, Ivan Orescanin als Beaupertius, Martin Fournier als Vézinet, Mario Lerchenberger als Felice/Achille di Rosalba, Richard Jähnig als Korporal, Silvia Plese als Damenschneiderin, Veli-Pekka Varpula als Wächter sowie Julian Gaudiano als Minardi zu hören.

Daniele Squeo dirigiert die exzellenten Grazer Philharmoniker. An der Transparenz der instrumentalen Details als auch der köstlichen Duftigkeit der Ensembles wurde mit Erfolg gearbeitet. Der Chor der Oper Graz als bester österreichischer Bundesländer-Opernchor zeigt wieder einmal, wie professionell, textdeutlich und stimmschön er zu agieren vermag.

Da die Studioaufnahme aus dem Jahr 1975 des Verlags Ricordi mit dem Komponisten am Pult längst vergriffen ist, ist der Stellenwert der in ihrer Geschlossenheit beeindruckenden Neueinspielung als aktuell einzig verfügbarer Aufnahme nicht hoch genug zu bewerten. Lassen Sie sich vom unerwarteten Reichtum dieser Partitur zwischen deutscher Romantik und sprühender italienischer Commedia überraschen!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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