CD: Nikolai Rimsky-Korsakow Scheherazade Ensemble K Simone Menezes, musikalische Leitung aplpha-classics, 1081
Rimsky-Korsakow auf neuen Pfaden: Die doppelte Welt der Scheherazade
Das Label Alpha Classics überrascht einmal mehr mit einer unkonventionellen Aufnahme. Im Mittelpunkt des aktuellen Doppelalbums steht Nikolai Rimsky-Korsakows berühmte „Scheherazade“, doch in einer Fassung, die neue Wege geht. Was als monumentales Orchesterwerk bekannt ist, erscheint hier in einer Kammermusikbearbeitung von Vincent Paulet – und das ist nur der Anfang. Vorweg wird die Geschichte der legendären Erzählerin Scheherazade durch die Stimmen von Golshifteh Farahani und Kristin Winters in einer dramatisierten Erzählung wiedergegeben. Dieses Album wirft somit nicht nur musikalische, sondern auch literarische Fragen auf. Eine mutige Interpretation, die jedoch nicht in allen Punkten überzeugen kann.
Rimsky-Korsakows „Scheherazade“ zählt zu den schillerndsten Orchesterwerken des späten 19. Jahrhunderts. Die farbenprächtige Musik ist inspiriert von der Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“, in der die titelgebende Scheherazade mit ihren Erzählkünsten ihr Leben rettet. Die sinfonische Suite entführt den Zuhörer auf eine musikalische Reise durch die exotische Welt des Orients, von stürmischen Meeren bis hin zu prächtigen Palästen. Der Komponist setzte die Figur Scheherazade mit einem betörenden Violinthema ins musikalische Zentrum und schuf damit eine der ikonischsten Melodien der klassischen Musik.
Das Ensemble K unter der Leitung von Simone Menezes präsentiert „Scheherazade“ hier in einer Kammermusikfassung, arrangiert von Vincent Paulet. Die Reduktion des Orchesters auf ein kleineres Ensemble erfordert Fingerspitzengefühl, um die musikalische Substanz des Originals zu bewahren. Auf CD1 des Doppelalbums wird diese musikalische Interpretation durch eine gesprochene Erzählung ergänzt. Die Schauspielerinnen Golshifteh Farahani und Kristin Winters verleihen den Figuren Scheherazade und Dinarzad ihre Stimmen, während Paulets Transkription als Klangteppich darunterlegt. Die zweite CD konzentriert sich rein auf die Musik – ohne Text, aber mit all der Intimität und Transparenz, die die Kammermusikfassung bietet.
Das Ensemble K, von der Dirigentin Simone Menezes gegründet, verfolgt eine visionäre Interpretation klassischer Musik. Es besteht aus vierzehn virtuosen Solisten, die nicht nur technische Perfektion, sondern auch persönliche Interpretationen einfließen lassen. Menezes und ihr Ensemble arbeiten in ihren Projekten oft mit Künstlern verschiedener Ausrichtungen zusammen und erschaffen so interdisziplinäre Werke, die über die reine Musik hinausgehen. Diese Offenheit für neue Formen und Ansätze zeigt sich auch in der „Scheherazade“-Einspielung, die den Hörer in ungewohnte Klangwelten entführt.
Die kammermusikalische Fassung von Paulet überzeugt vor allem durch ihre Detailgenauigkeit und die spannende Reinterpretation des Orchesterklangs. Wo das große Orchester oft überwältigt, bietet diese Fassung intime Momente und fein nuancierte Klangfarben. Die explosive Wucht der Originalversion mag fehlen, doch die Schattierungen und Farben der Musik kommen in dieser reduzierten Fassung besonders gut zur Geltung. Es ist ein faszinierendes Experiment, das zeigt, wie viel von Rimsky-Korsakows Genie auch in kleiner Besetzung erhalten bleibt.
Anders verhält es sich mit der Erzählfassung. Die beiden Sprecherinnen, Golshifteh Farahani und Kristin Winters, vermögen es nicht, die emotionale Tiefe der Geschichte vollends zu transportieren. Ihre Vorträge wirken zu oft distanziert und kunstvoll inszeniert, ohne wirklich packende Erzählkunst zu bieten. Zudem ist die Entscheidung, die Erzählung auf Englisch zu präsentieren, für den deutschsprachigen Markt fragwürdig. Eine deutsche Version hätte hier sicherlich besser gewirkt. So bleibt die Erzählung eher eine Randnotiz, während die Musik des Ensembles weiterhin im Mittelpunkt steht.
Diese Aufnahme ist für Entdecker und Liebhaber von Rimsky-Korsakows „Scheherazade“, die bereit sind, neue Facetten eines Klassikers zu erkunden. Besonders die kammermusikalische Fassung offenbart überraschende Perspektiven und überzeugt durch ihre subtile Farbigkeit. Die Erzählfassung hingegen bleibt hinter den Erwartungen zurück, vor allem durch die sprachliche und darstellerische Distanz. Wer offen für neue Klangwelten ist und sich nicht von der traditionellen Orchesterbesetzung leiten lässt, wird dennoch einiges zu entdecken haben.
Dirk Schauß, im September 2024
Nikolai Rimsky-Korsakow
Scheherazade
Ensemble K
Simone Menezes, musikalische Leitung
aplpha-classics, 1081