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CD-NEUERSCHEINUNGEN BEI GRAMOLA. Schubert („Schubert’s Women“) , Chopin („Vocalisation“)

07.02.2021 | cd

CD-NEUERSCHEINUNGEN BEI GRAMOLA. Schubert , Chopin („Vocalisation“)

CD-Neuerscheinung: „Schubert’s Women“
Klaudia Tandl (Mezzosopran), Gabriele Jacoby (Rezitation), Niall Kinsella (Klavier)
Gramola 2020 / 99223
(Karl Masek – Februar 2021)

Cover2
Das Aufnahmedatum: 17. – 19. Februar 2020, Studio Wavegarden, im beschaulichen niederösterreichischen Örtchen Mitterretzbach, dicht an der tschechischen Grenze.

Und, ja: Eine beschauliche, sehr sorgfältig zusammengestellte Aufnahme ist da entstanden, so kurz vor dem 1. Corona-Lockdown! Um Schubert’s Frauenbild geht es. Die Idee zu diesem Album wurde im Franz-Schubert-Institut in Baden bei Wien im Sommer 2017 geboren. Die Absicht war, die verschiedenen Aspekte weiblichen Charakters im Verständnis Schuberts zu zeigen.

Dazu Christian Heindl im Booklet: „Wieweit verbindet sich das Biographische mit dem künstlerischen Werk? Wo wird die Fantasie so frei entfaltet, dass man vermeint, in diesem oder jenem Stück Bilder aus der Biographie des Komponisten gespiegelt zu sehen? Und wie oft mag man dabei in die Irre gehen: Ist nicht gerade Schubert einer jener, die im Moment größten Leidens auch unsagbar freudvolle Musik zu schreiben imstande waren?“

Schubert hatte ja besten Überblick über die damals zeitgenössische Lyrik. Einige seiner populärsten Lieder haben ja starken inhaltlichen Bezug zu Frauen (und Mädchen), zu erster Liebe, Enttäuschung, Liebesverlust, Sehnsucht.
Enorme Anziehungskraft hatte auch für Schubert zum Beispiel die Figur der Mignon aus Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Das liebliche Mädchen mit den knabenhaften Zügen wird ja gerne mit homosexueller Symbolik in Verbindung gebracht (über Schuberts angeblich latente homosexuelle Veranlagung wurde und wird ja immer wieder spekuliert).

„Kennst du das Land“ und „Nur wer die Sehnsucht kennt“: Diese Texte rezitiert Gabriele Jacoby nebst 9 anderen Goethe-, Schiller-,Klopstock- und Rellstab-Beispielen, die eben auch Schubert vertont hat. Die bekannte Schauspielerin, vor allem Theater in der Josefstadt, und Tochter der Marika Rökk, ist auch gefragter Sprachcoach für internationale SängerInnen. Sie trifft mit klarer, unpathetischer Sprache den speziellen Ton, die vielschichtigen Stimmungen dieser Gedichte des 19. Jahrhunderts, die Sehnsuchtsfarben, mit angenehmer Natürlichkeit, einem Hauch von Sachlichkeit und vermeidet überbordende Sentimentalität. Die Texte sind im Fokus, da drängt sich keine prätentiöse Vortragenden-Eitelkeit vor.

Die junge, aufstrebende österreichische Mezzosopranistin Klaudia Tandl singt 16 Lieder von Des Mädchens Klage, D 191 bis zum frühen Geniestreich Gretchen am Spinnrade D 118, von Der Jüngling an der Quelle D 300 und unmittelbar darauf Luisens Antwort D 319 bis hin zur Geisterstimme der Thekla D 595. Der Jüngling ist in eine Luise bis über beide Ohren (ganz rot sind sie, die Ohren!) verliebt, vergleichsweise sachlich fällt die Antwort der Angeschmachteten aus…

Klaudia Tandls hübscher,heller, weitgehend instrumentaler Mezzosopran drückt noch viel Mädchenhaftigkeit aus. Mitunter bewusst sogar Androgynes streifend. Der schöne Ausdruck „Fräuleinbild“, den bekanntlich Papageno in der Zauberflöte verwendet, fällt einem ein. In „Des Mädchens Klage (Text von Schiller) ist die Trauer ganz leise, nicht tränenüberströmt. Gretchen am Spinnrade hat drängende, gleichsam pubertierende Nervosität, ganz ohne kammersängerinnenhafte Üppigkeit der Stimmgebung oder vordergründige Exaltiertheit in der Textbehandlung..

Die junge Nonne D 828, Der Fischer D 225, auch das altbekannte Heidenröslein D 257: Alle diese Wiedergaben gehen gewissermaßen vom Heute aus – und entführen von hier aus doch in eine frühere Epoche. Eine schöne musikalische Zeitreise.

Der aus Irland stammende, in Dublin und später in Wien (bei Barbara Moser) ausgebildete Pianist Niall Kinsella gibt eine erstklassige Visitenkarte als kenntnisreicher und profunder Liedbegleiter ab.
Empfehlung!

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CD: „CHOPIN VOCALISATION“ – Arrangements von Klavierwerken für Singstimmen
Neuerscheinung bei Gramola 2020 / 99229

„Man soll mit den Fingern singen“

(Karl Masek – Februar 2021)

Cover1

Frédéric Chopin scheint wie kein anderer Komponist mit dem Klavier verwachsen zu sein. Ganz stimmt das nun nicht. Er schuf auch 2 Klavierkonzerte (in e-Moll und in f-Moll). Da bewies der „König der Klaviermusik“, dass er instrumentationstechnisch sehr wohl auch mit Orchesterfarben umzugehen wusste. Weiters sind 17 Lieder überliefert, die freilich eher als Gelegenheitswerke anzusehen sind.
Allerdings: Viele seiner Schüler*innen haben Zitate überliefert, wie: „Man soll mit den Fingern singen!“ oder „Wenn Sie Klavier spielen wollen, müssen Sie singen lernen!“
Der Gesang war ihm also Basis jeglichen Musizierens. Und damit auch eine , liedhafte Variationsbreite samt perfekter Ornamentik, die Chopin laut zeitgenössischen Berichten auszeichnete, wenn er seine eigenen Werke kaum je so spielte wie von ihm selbst notiert.

„Es verwundert nicht weiter, dass etliche Zeitgenossen und epigonale Komponisten den vokalen Habitus vieler seiner Klavierwerke freudig nutzten, um sie als Kunstlieder zu arrangieren…“, so Wolfgang Brunner, Musikwissenschaftler, Professor am Mozarteum Salzburg, Gründer der Salzburger Hofmusik, musikalischer Schatzgräber von Raritäten, und der kompetente, souveräne musikalische Begleiter des Vokalquartetts, im Booklet der CD.

Wolfgang Brunner stellte im Jahr 2014 eine Sammlung von 16 Liedern mit Texten und Arrangements von Chopin-Klavierwerken zusammen (drei weitere sind Originalkompositionen Chopins, Lieder, op.74). Auch für die gelungenen, sensitiven Übersetzungen aus dem Französischen ist Brunner, im Teamwork mit Amélie Hois, verantwortlich. Sorgfältig zusammengestellt, zeigt diese CD-Rarität sehr schön, dass es für damalige französische und italienische ZeitgnossInnen wie Pauline Viardot und Luigi Bordese nichts Abwegiges war, den Werken Liedtexte unterlegt zu haben und Chopin durch Arrangements von einer weiteren, kantablen Seite zu zeigen (Einen umgekehrten Weg ging bekanntlich Franz Liszt mit seinen Klavierparaphrasen zu Schubert-Liedern und Verdi-Opern).
Interessant zu wissen, dass Pauline Viardot ab etwa 1840 in engem Kontakt mit Chopin und George Sand stand – und gemeinsam mit Chopin in seinem letzten Konzert 1848 mit Vokalfassungen seiner Mazurken auftrat. Was jedenfalls nahelegt (auch wenn es keine schriftliche Stellungnahme gibt), dass Chopin diese Bearbeitungen goutiert hat.

Mag sein, dass eingefleischte Klavierfreaks prinzipielle Einwände äußerten (und äußern). Jedenfalls ist im Jahr 2014 diese spannende, von Gramola-Chef Richard Winter produzierte Aufnahme in Baden-Baden entstanden und wurde schließlich 2020 herausgebracht.

Spannend, wie feingliedrig und „schmetterlingshaft“ etwa der gesungene Minuten-Walzer, op.64, Nr.1, als Duett Sopran/Mezzosopran unter dem Titel „Les fleur“, klingt. Der berühmte Trauermarsch aus der Sonate op 35, bekommt – gesungen – noch ein Quäntchen mehr an dunkelgrauem Nebel, durch den sich der Kondukt bewegt. Hier sind alle vier Vokalist*innen vereint: Die deutsche Sopranistin Lydia Teuscher, die niederländische Mezzosopranistin Olivia Vermeulen, der polnische Tenor Karol Kolowski und der deutsche Bariton Andreas Schmidt.
Der oberste Podestplatz gebührt dabei Lydia Teuscher, die mit Silbertimbre, unfehlbarem Stilgefühl, fabelhaften Schwebetönen und Fiorituren für sich einnimmt. Dicht gefolgt von Olivia Vermeulen mit weichem, cremigem Mezzosopran, der mit dem Sopran besonders schön harmoniert.

Delikates Hörerlebnis etwa bei „Seize ans“ (16 Jahre)! In diesemm Lied besingt ein Mädchen, sich der eigenen Schönheit erstmals bewusst werdend, den glückhaften Übergang, samt erotischer Neugier, nicht mehr Kind und noch nicht Frau zu sein. Was zum alles beherrschenden Thema wird (Mazurka 31). Oder besonders anrührend „Berceuse“, das Wiegenlied mit sanftem Mazurka-Rhythmus, in dem allerdings Bitternis mitschwingt, weil die junge Mutter nicht weiß, ob der junge Mann und Vater des Kindleins, aus dem Krieg zurückkommen wird. (Mazurka 24)
Karol Kolowskis hoher Tenor, der mit viel „Kopfigkeit“ eingesetzt wird und sich irgendwie an der Grenze zum „Counter“ bewegt, ist anfangs gewöhnungsbedürftig. Forciert er nicht, wie etwa im Chopin-Lied „Wiosna“ (Der Frühling), trifft er den elegischen Grundton dieses traurig-nostalgischen Liedes perfekt. Und der erfahrene Bariton (mit langjähriger Festspielmitwirkung in Salzburg und Bayreuth) von Andreas Schmidt wartet inzwischen im Herbst seiner Karriere mit noblen, aber bereits etwas angegrauten, herbstlichen Stimmfarben auf.

Insgesamt: Empfehlung! Für Raritätensammler eine Fundgrube!

 

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