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CD N. A. PORPORA: POLIFEMO – Weltersteinspielung mit Mynenko, Cencic, Lezhneva, Runje, Kudinov: Parnassus arts Productions

08.08.2023 | cd

CD N. A. PORPORA: POLIFEMO – Weltersteinspielung mit Mynenko, Cencic, Lezhneva, Runje, Kudinov: Parnassus arts Productions

Veröffentlichung: 8. September 2023

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Jaroussky, Gauvin, Kermes, Marino, Bartoli, Boulianne, Berna-Sabadus, Hallenberg und Genaux, sie alle haben’s getan. Arien aus Nicola Antonio Porporas Oper „Polifemo“ in ihre Recital-Programme und Solo-CDs aufgenommen. Kein Wunder, war doch der Vorzeigekomponist der neapolitanischen Opera seria ein Melodienzauberer und Stimmungsmacher sondergleichen. Genauso wichtig war Porporas für das 18. Jahrhundert prägende Wirken als Gesangspädagoge am Conservatorio di Sant’Onofrio, der nur makellos vibratoarmes Singen akzeptierte, aber durch psychologische Einfühlung in die Person und im Wissen um den Stimmapparat eines jeden Schülers das Beste an technischer Bravour aus ihnen hervorzuholen vermochte. Zu seinen Schülern zählten die Star-Kastraten Farinelli und Caffarelli, erstaunlicherweise auch Joseph Haydn. „Fünf Jahre lang durften seine Schüler nicht öffentlich singen, sondern mussten ein striktes Programm absolvieren – Atemübungen, Läufe und Intervalle pauken, an Verzierungen feilen.“ Silke Leopold. Das erinnert mich an ein Interview mit Montserrat Caballé, die einmal erzählte, ihre Gesangslehrerin ließ sie das erste Jahr nur Atemübungen wiederholen.

Es gibt aber noch einen anderen Grund gerade für die Popularität der Arie des Aci ‚Alto Giove‘ aus „Polifemo“.  Mit jener spektakulären Arie holt Farinelli im gleichnamigen Film von Gérard Corbiau aus dem Jahre 1994 auf Befehl von König Philipp V. das Licht nach einer Sonnenfinsternis wieder zurück auf die Erde. Farinelli alias Carlo Broschi konnte mit seinem welt- und sternbewegenden Gesang zudem den König aus der Melancholie befreien und mit der Macht der Musik alle Düsternis aus geschundenen Seelen vertreiben. Was für ein wunderbares Gleichnis.

Uraufgeführt wurde „Polifemo“ am 1. Februar 1735 in London während Porporas Zeit als Musikdirektor an der Opera of the Nobility. Die Geschichte vom einäugigen Zyklopen und Menschenfresser Polyphem, einem Sohn Poseidons, den der in seiner Höhle gefangene Odysseus überlistet und mit einem glühenden Pfahl blendet, kennen wir von der homerischen Odyssee. In Ovids „Metamorphosen“ gibt es einen zweiten Handlungsstrang, der von der Liebe des sterblichen Acis zur Nymphe Galatea und einem mächtig eifersüchtigen Polyphem erzählt. Hier erschlägt Polifemo den Acis mit einem Felsbrocken, welcher sich in einen Galatea schützenden Fluss wandelt. Librettist Paolo Rolli vermischte, um den strikten Regeln der Opera Seria gerecht werden zu können, beide unabhängigen Geschichten zu einer einzigen, fügte die Nymphe Kalypso hinzu, und fertig war der Handlungsrahmen für einen der aufregendsten Rezitativ-, Arien und Duettreigen der Geschichte der italienischen Barockoper, wobei die kurzweiligen Accompagnato-Rezitative, welche die nur Cembalo begleiteten Secco-Rezitative überwiegen, und vor allem im dritten Akt die einzelnen Nummern modern wie durchkomponiert eine in die andere übergeht.

Polifemo wird von einem Bassisten, dem generös orgelnden Bulgaren Pavel Kudinov mit charakteröliger Schwärze in Stimme und liebeswütendem Ausdruck gesungen. Die gesamte bestens aufeinander eingespielte Besetzung profitiert von dem jahrelangen Engagement des Max Emanuel Cencic als Sänger, Impresario, Partiturenaufstöberer, Regisseur und last but not least als künstlerischer Leiter des Festivals Bayreuth Baroque. Er hat sich erfolgreich auf die Fahnen geheftet, die das frühe italienische Rokoko markierende sängerspritzige neapolitanische Barockoper musikalisch stilgerecht und szenisch spannend ins Heute zu holen.

Auf CD ist bereits im Jänner dieses Jahres Nicola Antonio Porporas Oper „Carlo Il Calvo“ bei Parnassus mit Julia Lezhneva, Suzanne Jerosme, Max Emanuel Cencic, Franco Fagioli, Bruno de Sa, Petr Nekoranec und Nian Wang in den Hauptrollen mit der pauken- hörner- und trompetenfunkelnden Armonia Atenea unter der vitalen musikalischen Leitung von George Petrou erschienen. Am 8. September 2023 folgt „Polifemo“ mit demselben Orchester und Dirigenten nach.

In der „Polifemo“-Aufnahme erfüllt Cencic die Figur des secondo uomo Ulisse mit feurigem Leben und sattem tiefem Register. Sein bernsteinfarbener Alt bietet sowohl in den endlosen Legatopassagen als auch den unglaublich virtuosen Verzierungen Hörvergnügen pur. Julia Lezhneva als eine der gloriosesten ihres Fachs schillert koloraturglitzernd mit gebirgswasserklarem Sopran und die Sinne verlockendem Gurren (z.B.: Arie „Se al campo e al rio soggiorna“) als Galatea. „Ihr“ Aci ist mit dem in bravura wie in cantabile gleichermaßen suaven Countertenor Yurih Mynenko besetzt. Als Höhepunkt der Rolle darf die beinahe zehn Minuten lange, mystische Arie „Lusingato dalle speme“ gelten. Die Altistin Sonja Runje und die von den Stimmfarben her exquisite junge koreanische Sopranistin Narea Son ergänzen als Calipso und Nerea.

Dem beherzten Dirigenten George Petrou und der in barock-bewegten Wassern so wendigen Armonia Atenea gelingen ein weiteres Mal, einen bislang ungehobenen neapolitanischen Opernschatz, diesmal „Polifemo“, bravourös in einen musikhistorisch festen Hafen zu manövrieren. Die zahllosen Arien genießen eine pastos-leidenschaftliche, das Affektenfüllhorn instrumental erhöhende Begleitung. Die Ouvertüre und Sinfonias zeigen – feurig vorgetragen – Porpora zudem als ausgefuchsten Meister instrumentaler Charakterisierungsfantasie.

Klare Empfehlung!

Hinweis: Vom 7. bis 17. September 2023 findet wieder das Bayreuth Baroque Opera Festival statt. Das spannende Programm mit einer Neuinszenierung von Georg Friedrich Händels Oper „Flavio, re de‘ Langobardi“ (mit dem Concerto Köln), dem leading Team Benjamin Bayl Musikalische Leitung und Cembalo, Max Emanuel Cencic Regie, Helmut Stürmer Bühne, Corina Gramosteanu Kostüme, Romain De Lagarde Licht und in der Besetzung Julia Lezhneva Emilia, Max Emanuel Cencic Guido, Yuriy Mynenko Vitige, Sonja Runje Teodata, Rémy Brès-Feuillet Flavio, Sreten Manojlović Lotario, Fabio Trümpy Ugone und Filippa Kaye Sängerin

finden Sie unter folgendem Link: https://www.bayreuthbaroque.de/programm/

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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