CD „MUSIC AROUND THE BAUHAUS“ – Steffen Schleiermacher spielt Klavierwerke von Wolpe, Hauer, Vogel, Antheil und Stuckenschmidt, MDG
„Ein Bruch mit tradierten Vorstellungen und alten Lebenswelten, ein Neudenken in Kunst und Architektur, in Design und Pädagogik: Mit dem Bauhaus begründete Walter Gropius 1919 in Weimar eine der bedeutendsten Schulen für Gestaltung, die bis heute Impulse zu vergeben mag.“ So oder so ähnlich beginnen viele Texte, die sich mit dem 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum 2019 auseinandersetzen oder zu einer Ausstellung laden wollen.
Der in Halle geborene Pianist Steffen Schleiermacher interessiert sich für das Thema Bauhaus und Musik. Er tut was er kann, nämlich Klavierspielen – und stellt uns kaum bekannte Musik, die mit dem Bauhaus in Verbindung steht, vor. Musik war kein Lehrfach am Bauhaus. Aber der von Johannes Itten geprägte Begriff der ,Ganzheitlichkeit‘ ist auch heute noch allgemein gebräulich. Freilich wollte der exzentrische Lehrmeister Persönlichkeiten formen und bediente sich dabei unterschiedlichster Techniken; bei Entspannungs-, Atem- bzw. Harmonisierungsübungen setze er gerne Musik ein. Klänge sollten in Bewegungen, Gesten und Haltungen umgesetzt werden. Itten und der wichtigste hier vorgestellten Tonsetzer, der Wiener Josef Matthias Hauer (manche sagen, der eigentliche Erfinder der Zwölftontechnik) verband ihre Begeisterung für Synästhesie-Konzepte, die sich u.a. in der Zuordnung von Farben zu Klängen manifestierte.
Auf dem neuen Album stellt Schleiermacher Hauers fünfsätziges „Nomos“ Op. 2, die erste Zwölftonkomposition überhaupt, einen „Tanz“ Op. 10, die der Ehefrau Ittens gewidmete „Phantasie“ Op. 17 und das späte „Zwölftonspiel Weihnachten“ (1946) vor. Der Pianist beschreibt des Vielschreibers Hauers Ideal als dasjenige des reinen Melos, der reine Melodie, nur auf wohltemperierten Instrumenten ausgeführt, ohne Begleitung und ohne Rhythmus. Seine Musik klingt intellektuell-esoterisch, formlos dahin mäandernd, stellenweise impressionistisch um sanfte Stimmungen bemüht.
Teils unterhaltsam klingen die Werke des gelegentlichen Barpianisten und Klavierunterhalters Stefan Wolpe. „Stehende Musik“, „Adagio“, „Variation“, „Tango“ und die „Cinq marches caractéristiques“ heißen die hier eingespielten Stücke. Wolpe saß die meiste Zeit Stuckenschmidt zufolge einsam in einer Ecke, schrieb eines seiner ekstatischen Klavierstücke, die er Friedl Dicker widmete, einer hochbegabten Bauhäuslerin aus Wien.
Es war die Zeit zu experimentieren. Und das ist vielen Musikstücken auch anzuhören,die im sperrigsten Fall als konstruiert, sozusagen strategisch gedachte Musik oder im besten Fall als ironische Klangspielerei, wie der „Marsch Alexander des Großen über die Brücken von Hamburg“ von Hans Heinz Stuckenschmidt aus dem Jahr 1923 klassifiziert werden können. Das Album enthält zum Drüberstreuen auch kleinste Stücke des amerikanischen Pianisten George Antheil, eine Sonatina und die programmatische Komposition „The Death of the Machines“.
Der Russe Wladimir Vogel liefert für die CD seine „nature vivante – six pièces expressionistes“ (1917-1921). Er soll eher an der Idee des neuen Bauens, des Konstruierens interessiert gewesen sein, was er in musikalische Architektur umzuwandeln versuchte. Dieser Konstruktivismus in der Musik ist aber seiner „Nature“ und dem Stück „einsames getröpfel“ noch nicht anzuhören.
Ein großer Dank gilt Steffen Schleiermacher, der seine pianistische Bravour mit Leidenschaft und Akribie in den Dienst wahrlich unbekannten und vielleicht auch für den einen oder anderen undankbaren Terrains stellt. Auf jeden Fall sind Raritäten zu entdecken. Lesenswert ist der ausführliche und anekdotenreiche Aufsatz „Musik am Bauhaus“ im Booklet. Die Tonqualität ist – wie immer bei MDG – herausragend.
Dr. Ingobert Waltenberger