CD „MOZARTS CLAVICHORD“: GEORG NIGL und ALEXANDER GERGELYFI mit einem originellen Mozart-Programm; Alpha
Aufgenommen auf des Komponisten Clavichord der Mozart Museen der Internationalen Stiftung Mozarteum
Bei einem Clavichord handelt es ich um ein kleines Tasteninstrument mit Saiten in Tangentenmechanik. Von einem schmalen rechteckigen Gehäuse umgeben, mag der auf dem Instrument erzeugte Ton zwar wesentlich leiser als der von Cembali oder modernen Klavieren sein. Aber aufgepasst: Welch magische Klangwirkungen mit diesem Instrument generiert werden können, ist nun anhand des neuen Albums des genialen Duos Nigl/Gergelyfi nachzuerleben.
In den oberen Registern hören wir Mandoline, Zither, Harfe, pizzicato gezupfte Streicher, in den Bässen kann dieses wundersame Clavichord, auf dem Mozart etliche seiner späteren Werke konzipiert und ausgeführt hat, frei nach Vater Leopold nicht nur wie eine Posaune, sondern wie eine erlauchte Abordnung charakterstarker Holzblasinstrumente klingen.
Aufgrund des geringen Platzbedarfs vor allem im 17. und 18. Jahrhundert in der Hausmusik eingesetzt, erlaubt es dem Vokalinterpreten, für uns heutige Konzertgeher ungewohnt intime Töne anzuschlagen. Und wirklich: Georg Nigl, Bariton von Gnaden, sprengt ein weiteres Mal im Hinblick auf Tonumfang und Stilvielfalt alle Fachgrenzen. In der Tradition eines Julius Patzak, eines Erich Kunz oder Karl Dönch erklingen Papagenos „Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich“, die ausgewählten Lieder oder die Freimaurer Kantate „Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt“ wie volkstümliche Gesänge, die der Künstler selbstreflexiv ganz für sich selbst zu singen scheint.
Georg Nigl ist ein einzigartiges Gesamtkunstwerk als dem Wiener genius loci verbundener und dennoch international überaus renommierter Vokalartist, bei dem Schauspielerisches, Sprachpoesie und Klangzauber wie von selbst zu einer höheren Einheit verschmelzen. Die wienerische Zuschreibung ‚legendär‘ mag ich ihm nicht verpassen, dafür ist Nigl zu jung und zu flexibel in seinem künstlerischen Wirken. Hören Sie sich die Lieder „Das Veilchen“ oder „Sehnsucht nach dem Frühling“ an, mit welch unverstellter Einfachheit und einer bis in die kleinste Nuance ausgeleuchteten erzählerischen Leuchtkraft Nigl da ans Werk geht.
Köstlich, wie Georg Nigl kleine Liedpreziosen wie „Das Kinderspiel“ oder „Die Alte“ zu pfiffigen Kabinettstücken mit genuin wienerischem Vorstadtidiom formt. Nigl lässt seine „Alte“ in dem von Mozart mit aller klanglichen Ironie vertonten Text von Friedrich von Hagedorn von ihrer guten Zeit in zittrig verbissenem bis weinerlichem Ton schwärmen. Dieses Lied markiert vielleicht den denkwürdigsten und humorigsten Moment des Albums.
Überhaupt schöpft Georg Nigl aus seiner umfassenden und genreübergreifenden Beschäftigung mit Oper von Frühbarock bis zu Uraufführungen am laufenden Band, Operette, Kunstlied (was für ein sensitiver Schubert-Interpret er doch ist; sein Album „Vanitas“ mit Liedern von Franz Schubert, Ludwig van Beethovens „An die ferne Geliebte“ und Wolfgang Rihms „Vermischter Traum“ gehört zu den aufregendsten Liedalben, die ich kenne) und nicht zuletzt dem Wienerlied.
All dieser Erfahrungsschatz kommt seinen jedes Wort umschmeichelnden, in nie gehörter Zartheit feinmelancholischen Deutungen etwa der „Abendempfindung an Laura“ oder dem unendlich traurigen „Lied der Trennung“ zugute. Aber natürlich ist es nicht nur eine exemplarische Wortdeutlichkeit und eine berückende Pianokultur, die den exzeptionellen Rang des Sängers bestimmen. Mich begeistern die Natürlichkeit der Tonbildung, die Geschmeidigkeit der Phrasierung, das Ab- und Ausklingenlassen der Reime etwa in der letzten Strophe der „Abendempfindung“ ‚Weih mir eine Träne und ach! Schäme dich nur nicht, sie mir zu weihn, O sie wird in meinem Diademe dann die schönste Perle sein.‘
Aufmerksamkeit und Lob gebühren auch Nigls Partner: Mit welch geschmackiger Klangwürze der Linzer Alexander Gergelyfi – gemeinsam mit Nigl brilliert er in den Kleinen Nachtmusiken der Salzburger Festspiele – etwa der „Zauberflöten Ouvertüre“, der Marcia aus „La Clemenza di Tito“, der Fantasie KV 397 oder dem Rondo KV 485 rhythmische Akkuratesse, ausgefuchste Details und noble Seelentöne zuwachsen hat lassen, machen das Album auch von dieser Warte aus zu einem einzigartigen Erlebnis abseits jeglicher Hörgewohnheiten. Das mit über 80 Minuten Spielzeit großzügig gefüllte Album klingt mit dem ‚Lacrimosa‘ aus der Missa pro defunctis Requiem, KV 626, in nachdenklicher Ruhe aus.
Back to the roots: Mozart in einer Schubert vorwegnehmenden, berückenden Tiefe und natürlichen Schönheit, wie sie ihn sicher noch nie so erlebt haben.
Dr. Ingobert Waltenberger