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CD MOZART SYMPHONIEN Nr. 35 („Haffner“), 36 („Linzer“) und 40, TARMO PELTOKOSKI dirigiert die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen; Deutsche Grammophon

Harry Potter der Jungdirigenten

22.05.2024 | cd

CD MOZART SYMPHONIEN Nr. 35 („Haffner“), 36 („Linzer“) und 40, TARMO PELTOKOSKI dirigiert die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen; Deutsche Grammophon

Harry Potter der Jungdirigenten

„Seine Energie und natürliche Autorität sind umwerfend. Tarmos Gespür für verborgene musikalische Feinheiten und Stimmen in eigentlich vertrauten Partituren faszinieren zutiefst.“ Dr. Clemens Trautmann, Präsident der Deutschen Grammophon

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Das Cover des DG-Debüts des jungen finnischen Dirigenten Tarmo Peltokoski zeigt einen sehr selbstbewussten und zielstrebigen Burschen, der den Dirigentenstab nach Manier von Harry Potters Zauberutensil hält. In der Art von: „Ich zeig‘s euch jetzt!“ Die Pose könnte auch ein stichbereites Florett in den Händen suggerieren. Die Haare exakt gescheitelt, hält Peltokoski den Kopf nach unten geneigt, die Augen am oberen Brillenrand den Betrachter fixierend. Rundherum im Hintergrund tummeln sich fototapezierend die Porträts der Orchestermitglieder. So will das Label und offensichtlich auch der Dirigent, dass er gesehen wird. Vielleicht ist Peltokoski in Wahrheit der sympathische Typ von nebenan, vielleicht auch nicht. Das zweite Foto auf Seite vier des Booklets zeigt ihn von der Seite, da erinnert er an den jungen Shostakovich. Wenn Bilder reden wollen, dann sollen sie es tun. Die PR-Texte zitieren dazu, „Diapason“ und den “Berliner Tagesspiegel“ mit ihren Zuschreibungen als ‚Genie‘ oder ‚Jahrhunderttalent.‘ 

Letztes Jahr wurde Tarmo Peltokoski für die Aufnahme von Oskar Böhmes „Konzert für Trompete“ Op. 18 mit dem Solisten Matthias Höfs und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, erschienen bei Berlin Classics, mit dem Opus Klassik als Nachwuchskünstler des Jahres ausgezeichnet. Dazu unterzeichnete der 23-Jährige einen Exklusivvertrag bei der Deutschen Grammophon und ist der jüngste Kapellmeister beim Gelblabel. Im Januar 2022 wurde Tarmo Peltokoski von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen zum „Ersten Gastdirigenten“ erkoren, einer Position, die eigens für ihn geschaffen wurde. Noch ein Rekord gefällig: Peltokoski dirigierte als 22-jähriger seinen ersten kompletten Wagner-Ring-Zyklus beim Eurajoki Bel Canto Festival. Im Dezember 2022 wurde Peltokoski zum Musikdirektor des Orchestre National du Capitole de Toulouse ernannt.

Genügend Stoff und Anlass, genauer hinzuhören: Als erstes ist erfreulicherweise festzuhalten, dass es einige unter den jungen Dirigenten gibt, die wirklich etwas zu Mozart zu sagen haben, seien es Julien Chauvin, Maxim Emelyanychev oder eben Tarmo Peltokoski, um nur die zu nennen, die mir spontan einfallen. Die Unterschiede spielen sich in den Bereichen neues oder altes Instrumentarium, Phrasierung, Dynamik, Tempi bzw. Artikulation („Klangrede“) ab.

Zum neuen Album ist festzuhalten, dass die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen auf modernem Instrumentarium spielt. Und tatsächlich ist vom ersten Ton des ‚Allegro con spirito‘ der „Haffner“-Symphonie K 385 in D-Dur an etwas ungemein Intensives, ein flinkes Eintauchen in die musikalischen Universen Mozarts vom 10-er Brett aus zu spüren, das den Hörer in einen Strudel an Fragen bei gleichzeitig spontanem Aufhorchen zieht. Was angenehm auffällt, sind fluid-rasche Tempi, sangliche Legatobögen sowie eine dynamisch ausgeklügelte Detailarbeit, ohne den musikalischen Fluss allzu sehr von aufgepeitschten Binnenphrasen bestimmen zu lassen. Die Behandlung der Streicher wirkt weitgehend konservativ und unterscheidet sich vor allem in den langsamen Sätzen kaum von derjenigen etwa des Josef Krips (mit dem Concertgebouworkest, Philips). Da umhüllt seidiger Glanz die melodisch genießerisch ausgekosteten Andante-Sätze.

 Bei den historisch informierten Spielarten werden die Akzente schroffer gesetzt und die klangliche Eigenfärbung etwa des Holzes stärker in den Vordergrund gerückt.. Im Vergleich zu Maxim Emelyanychev, der bei aparte vor einiger Zeit die Symphonien Nr. 29 und 40 sowie das Oboenkonzert mit dem Originalklangensemble Il pomo d’Oro herausgebracht hat, ist ohrenfällig, dass Peltokoski organisch weit atmet und auf lang gestreckte Spannungsbögen Wert legt. Themen- und Tempowechsel werden rhythmisch akkurat platziert, aber ganz besonders auf „verständige“ Übergänge geachtet.

Das Allegro assai (KV 550 g-Moll Symphonie) kommt im Finalsatz bei Peltokoski (6,36 Minuten; 10,02 bei Emelyanychev) eruptiv atemlos daher, der Hörer wähnt sich im polyphonen Rausch. Gleichermaßen euphorisch erklingt das Allegro spiritoso der „Linzer“ Symphonie Nr. 36 in C-Dur. Der heroisch-hymnische Beginn packt in Beethoven-ähnlicher Glut. Nicht minder spannend und energetisch auf Starkstrom legt sich Emelyanychev ins Zeug. Rauer, zerklüfteter, expressiver. Am Ende sind es persönliche Geschmackspräferenzen, welcher Aufnahme man den Vorzug geben möchte.

Die Qualität des Kammerorchesters ist natürlich ein  weiteres Atout der neuen Aufnahme. Da hat der langjährige künstlerische Leiter des Orchesters, Paavo Järvi, (seit 2004 im Amt) viel an Aufbauarbeit, auf einen unbedingten Willen zu Präzision und Offenlegung eines individuell ausgestalteten Nuancenreichtums bei einem vor allem bemerkenswert silbrig schillernden Streicherklang hingewirkt, Vorzüge, auf die sich Peltokoski hörbar jederzeit berufen kann. Die solistische Virtuosität der Orchestermitglieder ist ebenso hilfreich, damit Peltokoskli sein persönliches Konzept, ja, eigenwillig bis unverwechselbar individuell geht er tatsächlich ans Werk, in dieser hochprofessionellen Form verwirklichen konnte.

Der Anfang ist gesetzt. Die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit von Orchester und dem rising star am Pult wird mit Spannung und Neugier zu verfolgen sein. Dabei ist eines sicher: Dieser hochbegabte Peltokoski braucht den ganzen manieriert fotografischen und textwerblich in Superlativen sich ergießenden PR-Firlefanz überhaupt nicht.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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