Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD MOZART À PARIS 1778 – Arnaud de Pasquale Pianoforte, Jérôme van Waerbeke Violine; Château de Versailles Spectacles

16.08.2024 | cd

CD MOZART À PARIS 1778 – Arnaud de Pasquale Pianoforte, Jérôme van Waerbeke Violine; Château de Versailles Spectacles

moo

„Von Paris aus geht der Ruhm und Name eines Mannes von großem Talent durch die ganze Welt, da behandelt der Adel die Leute von Genie mit der größten Herablassung, Hochschätzung und Höflichkeit.“ Brief Leopold Mozart an Wolfgang Amadeus Mozart in Mannheim (12.2.1778)

Veröffentlichung: 23.8.2024

Musikbusiness war schon immer ein hartes Brot. Auf einem Gemälde Louis Carrogis dit Carmontelles aus dem Jahr 1763 sind Vater Johann-Georg Leopold rotbefrackt stehend mit einer Violine, der kleine Wolfgang Amadeus auf dem Cembalo – die Beinchen des siebenjährigen Buben reichen gerade bis zum Sitzrand -und dessen ältere Schwester Maria-Anna, genannt Nannerl, in einem Pariser Palais musizierend zu sehen. Drei Jahre sollte diese Konzertreise dauern, die der ehrgeizige und geschäftstüchtige Papa Leopold mit seinen beiden Wunderkindern durch halb Europa unternahm, die beiden an hoher bis höchster Stelle vorführte und an den Höfen zur Schau stellte. Am 18. November 1763 in Paris angekommen, sollte sich schon zu Jahresende Versailles für die Familie Mozart öffnen. Wie auf der Website der Opera national de Paris zu lesen ist, gaben die Mozart-Kinder „ein Konzert vor den Töchtern Ludwigs XV., den Prinzessinnen Adélaïde und Victoire, die beide hervorragende Musikerinnen waren, in deren Privatsalon. Leopold war jedoch besonders stolz auf die Ehre, in der Silvesternacht 1764 von Ludwig XV. und Königin Marie Leszczyńska in das Grand Couvert (den königlichen Speisesaal) eingelassen zu werden. Kurz darauf wurden in Paris vier Sonaten, die Madame Victoire gewidmet waren, gedruckt – die erste Veröffentlichung von Werken des jungen Wunderkinds.“

Nach weiteren Etappen in England und Holland kehrte das Trio am 18. Mai 1766 nach Paris zurück, wo der nun zehnjährige Wolfgang in der Residenz des Prinzen de Conti zusammen mit anderen ein Konzert gab.

Von solchem Glamour war bei Mozarts dritter Parisanfahrt im Jahre 1778 nichts mehr zu spüren. Am 23. März erreichen Mozart und seine Mutter nach beschwerlichen Tagen bei Kälte, Wind und Regen Paris. Zweck der Reise in diese kosmopolitische Hauptstadt des Luxus waren Kontakte, Konzerte, Kompositionsaufträge, vielleicht sogar eine feste Anstellung, auf jeden Fall künstlerischer Erfolg und Anerkennung. Aber der Vater als erfahrener Manager, das Risiko ahnend, blieb in Salzburg zurück, um seinen Job nicht zu verlieren. Obwohl er die Reise minutiös für den nunmehr 22-jährigen Sohn vorbereitet hatte, und sich vor allem pekuniäre Erfolge erwartete, gelang es Mozart nicht, in Paris Fuß zu fassen. Die Erwartungen des Vaters (siehe den oben zitierten Brief) erfüllten sich nicht. Mozart gab zwar Klavierunterricht und komponierte ein wenig, derweil die in dem miefigen, dunklen Minizimmer quasi eingesperrte Mutter immer schlechter hörte, kaum noch sprach noch sich bewegen konnte. Man kann sich die gesamte Situation gar nicht trist und fürchterlich genug vorstellen. Auf der einen Seite der von der Gesellschaft grosso modo negierte (Christopher Clarke: „Musiker hatten einen nur neig hergehen Stellenwert als Diener“), überforderte, sich missverstanden fühlende Sohn („… lauter Viecher und Bestien, was die Musik angeht!“), auf der anderen Seite die Mutter, die im Juni 1778 zu delirieren begann und am 3. Juli an Typhus verstarb.

Trotz all dieser Schicksalsschläge und gesellschaftlichen Ignoranz gelangen Mozart abseits der berühmten „Pariser Symphonie“ in D-Dur (für das „Concert Spirituel“) und des Konzerts für Flöte und Harfe (für den Herzog von Guines und seine Tochter, die dem Komponisten allerdings die Bezahlung schuldig blieben) herausragende Kompositionen, die das Programm des vorliegenden Albums ausmachen und zeigen, dass am Ende „Paris ein wichtiger Meilenstein in seinem persönlichen Leben und in seiner künstlerischen Entwicklung war.“ (Marie Demeilliez). Zumindest nach seiner Abreise begann man Mozarts Werke regelmäßig in die Konzertprogramme einfließen zu lassen, zudem zeigten Pariser Verlage zunehmend Interesse an deren Veröffentlichung.

So wurde vom Pariser Verlag Sieber eine Sammlung von 6 Sonaten für Cembalo und Violine, gewidmet der Kurfürstin von der Pfalz, publiziert (KV 301 bis 306), die in Mannheim und Paris entstand. Auf der CD ist davon die zweisätzige Sonate Nr. 21 in e-Moll, KV 304, zu hören. Die Zweisätzigkeit dürfte auf Mozarts Vorbild Johann Christian Bach zurückgehen, den Mozart im Schloss Saint-Germain-en-Laye beim Herzog Noailles traf.

Den größten Teil des Albums nehmen die Klaviersonate Nr. 8 in a-Moll, KV 310, sowie zwei Variationenwerke für Klavier solo ein (Variations sur l’air „Lison dormait“ KV 264 sowie „Au bord d’une fontaine“, Romance d’Antoine Albanese KV 360. Erstere Variation geht auf eine damals äußerst beliebte Romanze des Holzfällers Michaut aus der Komödie „Julie“ von Nicolas Dezède zurück. Zweitere, die Mozart in Wien schrieb, basiert auf der Salonromanze von Egide Joseph Ignace Antoine Albanèse. Albanèse, ein neapolitanischer Kastrat, der als junger Sänger an der Chapelle du Roi angestellt war und später sein Auslangen als Gesangspädagoge und Komponist fand, ist auf dem Album mit zwei seiner Arien vertreten und repräsentieren das Repertoire, „das Mozart in den aristokratischen Salons gehört haben könnte.“ Die Dacapo Arie „Dans les erreurs d’un songe“ und die Romance de Rosemonde werden von der Sopranistin Perrine Devilliers, ganz Anmut und Liebreiz, interpretiert.

Der französische Cembalist und Organist Arnaud de Pasquale spielt auf einer Kopie eines Hammerflügel der „Marke“ Silbermann aus dem Jahr 1749, das im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg erhalten ist. In der Kopie von Andrea Restelli wurde das hohe F ergänzt, um auf die vollen fünf Oktaven zu kommen. Ich wette, so etwas haben die meisten von Ihnen noch nie gehört. Das klingt wie eine Mischung aus Klavier (unten), Pianoforte (in der Mitte) und dem Funkensprühen eines Cembalos (oben) oder zuzeiten wie alles gleichzeitig. Auf jeden Fall kommen die mitlaufenden Emotionen und Zwischentöne plastisch zur Geltung. Der Solist, in Sachen Barockmusik ein As, weiß auch hier um die hohe Expressivität der Musik, ohne Tempi zu zerlegen oder Rubati zu strapazieren.

Haben wir es mit einer klingenden Autobiografie eines verflixten Abschnitts in Mozarts Leben zu tun? Ja und nein. So gibt es in der Sonate schon handfeste Hinweise auf die seelische Verfassung des Komponisten. Zusätzlich zu den Problemen mit einem hochnäsigen Adel, einer kranken Mutter und mangelnden Engagements (=Geldsorgen) kam noch die Sehnsucht des jung verliebten Mannes nach Aloysia Weber, die er in Mannheim kennen- und lieben gelernt hatte.

Schon im Allegro maestoso der Sonate KV 310 ist der Hörer hin- und hergerissen zwischen chromatischer Brüchigkeit, einer in repetitiven Akkorden lauernden Wut und einer steten reizbaren Ungeduld. Das Andante cantabile con espressione setzt die Irrfahrt in zermürbenden Zweifeln fort, die musikalische Reise kulminiert in einem Aufruhr, der im Presto nach einer atemlos hastigen Flucht klingt. Die Violinsonate KV 304 erinnert im Allegro an das Aufeinaderschlagen duellierender Instrumente. Jérôme van Waerbeke steuert den herb dunklen Klang seiner Violine bei. Der harte Dialog im kontrapunktischen Gerüst weicht einem nachdenklichen Tempo di Menuetto, zu dem sich kein Tanzbein heben will.

Dafür begegnet uns in den Variationen sur l’air „Lison dormait“ der kompositorisch versierte Profi Mozart, der sein Handwerk versteht und jegliche Melodie in brillanter Virtuosität bzw. harmonisch inventiv zu variieren vermag. Mozart kann hier seine verspielte Seite ausleben, wenngleich das Bild einer dick kullernden Träne auch diesem Stück die Grundierung zu geben scheint. Ja, lächle Mozart, lächle, auch wenn dir nicht gerade dazu zumute ist.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken