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CD MILLE AFFETTI – Sopranist BRUNO DE SÁ singt Arien von Cherubini, Mozart, Seydelmann, Reichardt, Zingarelli, Cimarosa und Alessandri; Erato

24.10.2024 | cd

CD MILLE AFFETTI – Sopranist BRUNO DE SÁ singt Arien von Cherubini, Mozart, Seydelmann, Reichardt, Zingarelli, Cimarosa und Alessandri; Erato

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Und wieder einmal ist es die Mischung, die unwiderstehlich ist. Der brasilianische Sopranist Bruno de Sá – ja, er ist kein Countertenor – hat schon mit seinem Album „Roma Travestita“ samt barocken Arien, die zwischen 1720 und 1760 in Rom von Kastraten in Frauenrollen gesungen wurden, stimmtechnisch wie von Ausdruck und Spielwitz her von sich reden gemacht. Galuppis „Qual pelegrino errante“ mit sechs dreigestrichenen D’s bildete damals wohl das i-Tüpfelchen an vokaler Virtuosität, zudem an Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit der Spitzentöne wie der verrücktesten Verzierungen kaum überbietbar.

Nun legt Bruno de Sá mit dem Album Mille Affetti, einem, abgesehen vielleicht vom Mozarts „Exsultate, jubilate“, gleichermaßen erfreulichen Raritätenkabinett an Bravour- und romantischen Stücken aus der Zeit Mozarts nach. Unterstützt vom polnischen NFM-Kammerchor und dem temperamentvollen Wroclaw Baroque Orchestra unter der musikalischen Leitung von Jaroslaw Thiel legt de Sá erwartungsgemäß ein Feuerwerk an Koloraturen, Fiorituren und Akuti vor, aber nicht nur. Er überzeugt auch in den lyrischen Kantilenen mit einem ruhig und sicher geführten Legato und verfügt über ein klangvolles tiefes Register, das er gleich in der ersten Arie des Albums, aus Luigi Cherubinis Oper „Mesenzio, re d’Etruria“ mit aberwitzigen Intervallsprüngen effektvoll einzusetzen vermag.

Galantes aus spätbarocken bis frühklassischen „Federn“, im Vergleich zur Barocke reicher an individuell gefühlvollem Ausdruck und einer intimeren Klangrede, gesellt sich zur nach wie vor lustvollen Bereitschaft der damaligen Tonsetzer, die Goldkehlchen auf der Bühne oder in den Kirchen gehörig bravourös zwitschern zu lassen. Das Album weist, in der Abfolge ein bisschen wild durcheinander, gut gewählte Exempel aus geistlicher wie weltlicher, ernster wie komischer Musik aus.

Poetisch verzückt und voller natürlicher Innigkeit trägt de Sá den zärtlichen Abschiedsgesang des Sifare aus Mozarts früher Oper „Mitridate, re di Ponto“ (2. Akt; Szene 7) vor. In eine ähnliche Kategorie fällt „Exsultate jubilate“, die der 16-jährige Wolfgang Amadeus für den Kastraten Venanzio Rauzzini (uraufgeführt in Mailand) geschrieben hat. In der hier vorgestellten Salzburger Fassung aus 1779, die erst 1978 wiederentdeckt wurde, kommen Flöten statt Oboen und alternative Texte zum Einsatz. Neben einer sorgfältigen rezitativischen Komponente bietet das abschließende Alleluja Wonnen an jauchzender Freude und unwiderstehlichem Jubel. Es handelt sich laut Booklet um ein sehr persönliches Werk für de Sá, weil sein kürzlich verstorbener Mentor, der Cembalist Nicolau de Figueiredo, ihm das Stück nahegelegt hat.

Der Titel des Albums entstammt dem Textbeginn der Arie des Lindoro aus Luigi Carusos komischer Oper „Il fanatico per la musica“. ‚In mezzo a mille affani, fremo, deliro.. ‚(auf Deutsch: Unter tausend Qualen bebe ich, sinke ich darnieder…), die nach der düster gewittrigen Ouvertüre zu „L’Isle déserte“ von Franz Beck erklingt. Im Gegensatz zu den wohl nicht allzu todernst gemeinten Worten geht es in dieser Arie musikalisch durchaus koloraturenbeschwingt, vom irren Tonumfang und klangauratisch her frappierend mozartisch zu.

Als Kontrast dazu verkörpert Bruno de Sá sodann den unschuldigen Engel ‚Betrachte dies Herz und frage mich‘ aus Mozarts „Grabmusik“.

Sprung nach Dresden: Der Tenor Franz Seydelmann vertonte dort „Il turco in Italia“ (1788), ein Stück, das wir von Rossini gut im Ohr haben. Im Gegensatz zu Rossini, der die Rolle des Selim einem Bassbuffo anvertraut hat, wählte Seydelmann eine hohe Stimme für seine nichts weniger witzige Verballhornung.

Raritätensammler werden bei der Szene des Perseo ‚Vio sacre piante‘ aus Johann Friedrich Reichardts Oper „Andromeda“ auf ihre Kosten kommen. Der Berliner Hofkapellmeister wollte ein Werk im Geiste Glucks schaffen. Klassizistisch geradlinig ist auch dieses Rondo, das de Sá seelisch beherzt interpretiert. Perseus fleht darin König Kepheus an, für Andromeda sterben zu wollen, wenn sie doch nur vom Ungeheuer verschont bleibe.

Drei weitere Sakralstücke des Albums sind Niccolò Antonio Zingarellis fünfsätzigem „Salve regina“, einem Ausschnitt (‚Preces meae‘) aus dem Requiem in g-Moll (1787 in St. Petersburg entstanden) von Domenico Cimarosa sowie Josef Myslivečeks „Introduzione“ (Allegro) aus seinem Oratorium „Il Tobia“ gewidmet.

Das mit 85 Minuten Spielzeit großzügig gefüllte Album schließt mit der sanft introspektiven Arie ‚Se possono tanto due luci vezzose‘ aus Felice Alessandris Oper „Alessandro nell’Indie“, in der Poro die Eifersucht seiner wunden Seele und seines treuen Herzens beklagt.  Hier wie auch bei den anderen empfindsamen bzw. ornamentierteren Stücken zeigt de Sá, dass Virtuosentum und außerordentlicher Farbenreichtum kein Widerspruch sein müssen.

Fazit: Melomanenglück vom Feinsten: Bruno de Sá mit seinem außergewöhnlich puren, technisch makellos eingesetzten Sopran in den Diensten von lohnenden Raritäten, darunter fünf Weltersteinspielungen.

Inhalt des Albums

*         Luigi Cherubini: ‚No non cercar per ora…La gran vendetta ancora‘         aus „Mesenzio, re d’Etruria“

*         Wolfgang Amadeus Mozart: ‚Lungi da te, mio bene‘ aus „Mitridate, re di Ponto“; Exsultate Jubilate KV 165; Grabmusik ‚Betracht dies Herz und frage mich‘; Fuge in g-Moll für Orgel, KV 154 (Marcin Szelest Orgel)

*         Franz Ignaz Beck: Ouvertüre zu „L’Isle déserte“

*         Luigi Caruso: ‚In mezzo a mille affanni‘ aus „Il fanatico per musica“

*         Franz Seydelmann: ‚Girate quel guardo‘ aus „Il turco in Italia“

*         Johann Friedrich Reichardt: ‚Voi sacre piante; Deh! soccorri, o padre il figlio‘ aus „Andromeda“

*         Niccolò Antonio Zingarelli: Motette „Salve Regina“

*         Josef Mysliveček: Introduzione aus „Il Tobia“

*         Domenico Cimarosa: ‚Preces meae‘ aus dem Requiem in g-Moll

*         Felice Alessandri: Se possono tanto due luci vezzose‘ aus „Alessandro nell‘ Indie“

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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