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CD MIECZYSLAW WEINBERG: Werke für Klarinette – ROBERT OBERAIGNER, DRESDNER KAMMERSOLISTEN; MICHAIL JUROWSKI; NAXOS  

Neuerscheinung zum 100. Geburtstag des Komponisten am 8.12.2019

15.04.2020 | cd

CD MIECZYSLAW WEINBERG: Werke für Klarinette – ROBERT OBERAIGNER, DRESDNER KAMMERSOLISTEN; MICHAIL JUROWSKI; NAXOS

 

Neuerscheinung zum 100. Geburtstag des Komponisten am 8.12.2019

 

Das in jüngerer Zeit eine immer breiter werdende Rezeption erfahrende Werk des polnisch russischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg offenbart die  faszinierendsten Hörerfahrungen mit und nach Shostakovich überhaupt. Die Lebensgeschichte des Warschauers ist tragisch, getrieben in Flucht vor den Nazis zuerst nach Minsk, später nach Taschkent und schließlich 1943 nach Moskau, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. Ein enorm bewegendes Schicksal des 20. Jahrhunderts, leider bisweilen vom „Regen in die Traufe -Prinzip“ verfolgt: In Moskau wurde er wegen behaupteter „jüdischer Subversion“ verhaftet und erst nach dem Tod Stalins 1953 befreit. Sein Tod am 26.2.1996 verhallte weitgehend unbemerkt und unkommentiert. Erst später wird sein großes exzeptionelles Schaffen durch das Engagement von Musikern wie Gidon Kremer oder von Festivals wie in Bregenz wieder einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Weinberg hinterließ 27 Symphonien, 17 Streichquartette, sieben Opern und eine reiche Auswahl an Kammer- und Instrumentalmusik. 

 

Auf dem vorliegenden Album stellt uns der gebürtige Tiroler Robert Oberaigner, Soloklarinettist der Sächsischen Staatskapelle Dresden, und damit einer der besten seiner Zunft überhaupt, drei Schlüsselwerke von Weinberg für Klarinette und Klavier (die Klarinettensonate Op. 28 aus dem Jahr 1945) oder mit Orchesterbegleitung (das Klarinettenkonzert Op. 104 aus 1970 und die Kammersymphonie Nr. 4 Op. 153 für Klarinette, Triangel und Streichorchester aus 1992 vor. Unterstützt wird er dabei ebenso qualitäts- wie ausdrucksvoll von den Dresdner Kammersolisten unter der musikalischen Leitung von Michail Jurowski (der Chef des RSO Berlin Vladimir Jurowski ist sein Sohn) sowie in der Klarinettensonate vom österreichischen Organisten und Pianisten Michael Schöch. 

 

Weinberg war bei seiner Klarinettenmusik sicher von Klezmer beeinflusst. Im virtuosen Klarinettenkonzert mit Streichorchester ist überdies die exotisierende Stilistik sowjetischer Kollegen greifbar. Wenngleich Weinberg im Gegensatz zu Shostakovich nicht plakativ kommentiert und trotz hohem Tempo keine martialisch stählernen Töne anschlägt. Die Klangkulissen scheinen direkt aus einem abstrakt imaginierten Leben gegriffen, voll schwarzem Humor und aleatorischer Spiellust. Dennoch krallt sich die ganz spezifische Traurigkeit in Weinbergs raffiniert sensitiver Musik besonders dann, wenn sie mit leichter Hand unserem Ohr schmeicheln will, wie ein Schraubstock im Gemüt fest. Das gilt auch für die Sonate für Klarinette und Klavier aus dem Jahr 1945. Mit melodiös dunkler Pracht schreiten die beiden Solostimmen tänzelnd eine blumenrankende Hecke hin zum Jenseits ab. Glücklich noch da zu sein, aber die kleine Spanne zum Hinüber immer im traumverhangenen Blick. Dorthin, wo die Familie des Komponisten nach der Ermordung im Holocaust weilt. Von Einsamkeit und Resignation bei dennoch mühsam abgerungenem Lebenssinn erzählt auch die erst nach Weinbergs Tod uraufgeführte vierte Kammersymphonie. 

 

Michail Jurowksi darf als authentischer Interpret gelten, war doch seine Familien mit derjenigen von Shostakovich eng befreundet. Auch Weinberg kannte er persönlich. Die hervorragenden Dresdner Kammersolisten sind adäquate Partner, um die intim persönliche Atmosphäre, die unendlich feinen Zwischentöne, die dick gefrorenen Klangflächen, aus denen kochend heiße Geysire entweichen, voll marternder Schönheit und unbezwingbarer Vitalität einzufangen. Robert Oberaigner vermag auf seiner Klarinette mit rundem vollem Ton in konzertierender Rede die fantastische Qualität der Musik funkeln zu lassen. Seine Ausdrucksskala ist beeindruckend. Dieses Album verdient die uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Jedes Anhören vertieft und bestätigt den ersten starken Eindruck. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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