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CD Mieczyslaw Weinberg: Violinkonzert op.67, Sonate für zwei Violinen Op. 69 – GIDON KREMER und das GEWANDHAUSORCHESTER LEIPZIG unter DANIELE GATTI; accentus music

03.03.2021 | cd

CD Mieczyslaw Weinberg: Violinkonzert op.67, Sonate für zwei Violinen Op. 69 – GIDON KREMER und das GEWANDHAUSORCHESTER LEIPZIG unter DANIELE GATTI; accentus music

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Jede Weinberg Aufnahme ist wesentlich. Der polnisch-sowjetische Komponisten Moseij Weinberg – musikalisch, von Vielseitigkeit und Kreativität her durchaus auf Augenhöhe mit einem Dmitri Shostakovich oder Béla Bartók – wird u.a. dank Musiker wie Gidon Kremer nun nach und nach wieder entdeckt. Kremer hat mit der Kamerata Baltica 2017 eine exemplarische Einspielung der vier Kammersymphonien und des Klavierquintettes Op. 18 in der Fassung für Klavier und Streichorchester vorgelegt. Die Bregenzer Festspiele haben Weinbergs 1968 vollendete Oper “Die Passagierin” 2010 aufgeführt. Mehrere andere Opernhäuser übernahmen die erfolgreiche Inszenierung.

 

Die beiden hier aufgenommenen und dem mit der kommunistischen Partei auf Du und Du stehenden Geiger Leonid Kogan gewidmeten Werke stammen aus dem Jahr 1959, einer glücklichen und erfolgreichen Phase im Leben und Schaffen des Komponisten. Das Glück war Weinberg aber beileibe nicht in die Wiege gelegt. Er musste vor den Nazis nach Osten fliehen. Der Weg führte ihn zuerst nach Minsk, dann über Taschkent schließlich 1943 nach Moskau, wo eine enge Freundschaft zu Shostakovich entstand. Seine Familie blieb jedoch zurück und wurde im Arbeitslager Trawniki ermordet. Aber auch in der Sowjetunion war es für einen jüdischen Künstler alles andere als einfach. Sein Schwiegervater, Theaterimpresario und Schauspieler Solomon Michoels kam 1948 unter ungeklärten Umständen ums Leben. Antisemitische Repressalien führten schließlich dazu, dass Wienberg selbst 1953 für mehrere Monate inhaftiert war. 

 

Die Klangsprache Weinbergs scheint derjenigen von Shostakovich verwandt, ist aber emotional wesentlich direkter, weniger von beißenden Sarkasmen und (un)verblümter Regimekritik durchzogen und damit unverschlüsselter. „Mit Elementen der jüdischen, polnischen und moldawischen Folklore schuf Weinberg einen Personalstil, der absolut subjektiv autobiographisch ausgerichtet ist.“ formuliert Tobias Niederschlag die Charakteristik von Weinbergs Musik knapp und wahr im Booklet. Weinberg hatte dazu eine sensible Ader für Atmosphärisches, das Absolute in der Musik als existenzielles Glaubensbekenntnis begreifend. Die Noten sind jedenfalls mit Litern an Herzensblut notiert. 

 

Sein Violinkonzert nimmt durch die vielen Kontraste, den technisch überaus anspruchsvollen Solopart und die romantisch dichte Orchestrierung ein. Die Sonate wiederum wirkt auf den Hörer strenger. 28 Variationen für die beiden gleichberechtigt angesprochenen Instrumente, ein an den Siciliano-Sätzen Bachs und Mozarts ausgerichtetes Adagio sowie ein Allegro in Rondoform klingen der Form nach gemütlich, sind sie aber nicht. Da bricht schon mal ein Hexenkessel an motivischem Flechtwerk und ineinander verstricken Linien über den Hörer herein. Kremer vergleicht das Stück mit der Doppelsonate von Prokofiev. 

 

Gidon Kremer, der erst langsam Zugang zu Weinbergs „Violinkonzert“ (vor allem der letzte Satz ‚Allegro risoluto‘ erschien ihm anfangs plakativ und formelhaft, jetzt zählt das Stück zu seinem Stammrepertoire) fand, stimmte einer Veröffentlichung des Live-Konzerts vom Februar 2020, also unmittelbar vor dem Lockdown entstanden, wegen der gut geölten Zusammenarbeit mit dem „fantastischen Vollblutmusiker“ Daniele Gatti und dem selbstverständlichen Zugang des Leipziger Orchesters zur Stilistik Weinbergs zu. 

 

In der Violinsonate erweist sich die Lettin Madara Pētersone, die Konzertmeisterin der Kremerata Baltica, als die mit Gidon Kremer perfekt eingespielte Partnerin. 

 

Besser und aufregender interpretiert ist diese faszinierende Musik von niemanden und nirgendwo zu hören. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

 

 

 

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