CD: MERIDIANE spoken Sjaella Fuga Libera, FUG842
Zwischen Wind, Sprache und Atem: Sjaellas Reise durch seltene Klangwelten

Mit spoken legt Sjaella den zweiten Teil ihrer Meridiane-Reihe vor. Das Ensemble richtet den Blick auf Kulturen, deren Sprachen nur noch in kleinen Gemeinschaften lebendig sind. Das Ergebnis ist ein Album, das Vielfalt nicht erklärt, sondern fühlbar macht. Die sechs Sängerinnen bewegen sich zwischen Tradition und Gegenwart, ohne den Charakter der jeweiligen Herkunft zu verlieren. Jede Spur öffnet ein eigenes Fenster in eine Welt, die man sonst selten hört.
Der Einstieg gelingt mit Breton Dance. Ein instrumentaler Schein legt sich in Form ruhiger Akkorde unter die Stimmen, die darüber ihre Linien zeichnen. Es wirkt wie ein Chor, der zu atmen beginnt. Son ar chistr knüpft daran an, zunächst mit einer einzelnen Stimme, die fast schüchtern wirkt. Dann setzen die anderen ein und die Szene erwacht zu einem lebhaften Miteinander.
Mit Hanka wechselt das Album in ein anderes Tempo. Rhythmisch, kräftig und mit einem Sog, der an einen Trance-Tanz erinnert. Flower Song bricht dieses Muster auf. Die Stimmen reden durcheinander, erst chaotisch, dann organisch. Paola Prestini nutzt das Ensemble, als wären die Sängerinnen ein bewegtes Stadtbild.
Cúnnla bringt irische Lebensfreude ins Programm. Kurze Spielzeit, klare Energie, ergänzt durch dezente Trommel. Dagegen gleitet Our Wedding Day wieder ruhig dahin. Vokalisen tragen das Stück wie ein warmer Atemzug.
Die livonischen Beiträge Seascape und Jōda, jōda, pǟva, juokšõ klingen, als stünde man selbst am Meer. Eine einzelne Stimme ruft wie ein weit entfernter Leuchtturm, während Atemgeräusche den Wind nachzeichnen. Das zweite Stück wirkt wie eine Reise auf einer leichten Barke, immer im Fluss.
Mit Txoria txori wird es geheimnisvoll. Der Rundgesang schwebt durch den Raum, zugleich sanft und heiter. A Girl von David Lang wirkt fast wie ein feiner Elfengesang, zart und klar geführt.
Die beiden süditalienischen Traditionals Aremu rindineddha und Fimmine fimmine spielen stark mit Naturbildern. Wind, leises Rauschen, Rhythmusgeräusche. Dazu eine Solostimme, die mitten daraus entsteht. Man hört Gras knicken, man sieht Landschaft, ohne dass je ein Instrument ertönt.
Zum Schluss zeigt Sjaella mit Ich kenne noch einmal die eigene Handschrift. Innig, still, direkt. Der Satz „Ich kenne deine Fremde“ bleibt hängen, weil Anfang und Ende sich gegenseitig spiegeln.
Auch aufnahmetechnisch ist diese Einspielung ungewöhnlich, da der Zuhörer sehr nahe am vokalen Geschehen ist, was das Gehörte intensiv erscheinen lässt.
spoken ist ein Album, das zuhören leicht macht, aber nichts vereinfacht. Sjaella gelingt es, die kulturelle Herkunft jeder Komposition zu respektieren und gleichzeitig ihren eigenen Klang klar zu halten. Die Meridiane-Reihe wächst hier zu etwas, das mehr ist als eine Sammlung schöner Lieder. Es ist eine Reise der Stimmen, die ein ungeahntes Spektrum zeigen.
Dirk Schauß, im November 2025

