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CD: Mendelsson, Widmann, Korngold. Stuttgarter Kammerorchester. Jörg Widmann, musikalische Leitung Channel Classics, CCS49225

20.10.2025 | cd

CD: Mendelsson, Widmann, Korngold. Stuttgarter Kammerorchester. Jörg Widmann, musikalische Leitung Channel Classics, CCS49225

Zwischen Frühreife und Spätwerk: Streicherminiaturen von drei Jahrhundertgenies

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Mit dieser Einspielung bei Channel Classics präsentiert Jörg Widmann ein Programm, das auf den ersten Blick heterogen erscheint, sich beim Hören jedoch als klug konzipierte Reise durch verschiedene Facetten des romantischen Streicherorchesters erweist. Der Dirigent und Komponist versammelt hier drei Werke, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und gerade darin liegt der Reiz dieser Veröffentlichung.

Den Auftakt bildet Mendelssohns Streichersinfonie Nr. 10 in h-Moll, entstanden 1823, als der Komponist gerade einmal vierzehn Jahre alt war. Was für ein Wunderkind! In diesem einsätzigen Werk, das eine schwungvolle langsame Einleitung mit einem Allegro und einer Coda verbindet, zeigt sich bereits jene formale Meisterschaft, die Mendelssohn später zu einem der führenden Komponisten seiner Generation machen sollte. Das Stuttgarter Kammerorchester unter Widmanns Leitung findet hier einen Zugang, der die jugendliche Frische des Werks bewahrt, ohne in voreilige Brillanz zu verfallen. Die Durchsichtigkeit des Musizierens lässt jede Stimme atmen, der Klang bleibt schlank und beweglich.

Das Herzstück der CD bildet Widmanns eigene „Ikarische Klage“, ein gut zwölfminütiges Stück, das seine Inspiration aus Baudelaires düsterer Poesie bezieht: „Verbrannt von der Liebe zur Schönheit / will ich nicht die erhabene Ehre haben, / dem Abgrund meinen Namen zu geben, / der mir als Grab dienen wird“. Hier spricht der Komponist selbst, und man spürt die existenzielle Tiefe dieser Musik, die den mythischen Sturz des Ikarus als Metapher für die Hybris des Schönheitsstrebenden deutet. Widmann schafft es, seinem Orchester diese Vision nahezubringen – das Resultat ist eine Aufführung von innerer Beteiligung und expressiver Dringlichkeit. Die Streicher des Stuttgarter Kammerorchesters folgen den harmonischen Wendungen und dynamischen Bögen mit hörbarer Hingabe.

Den krönenden Abschluss bildet Erich Wolfgang Korngolds Symphonische Serenade op. 39, und hier erreicht die Einspielung ihren unbestrittenen Höhepunkt. Widmann selbst schwärmt von diesem Werk: „Was für ein Stück, voll glitzerndem Zauber“. Tatsächlich sind hier Träume zu hören von einem realen oder imaginären Wien zur Zeit Mahlers oder Bergs – eine Vision, die in die Zukunft blickt, herzergreifend ist, aber niemals ins Sentimentale abgleitet. Korngolds Meisterschaft liegt in seiner Fähigkeit, spätromantische Üppigkeit mit modernistischer Raffinesse zu verbinden, und genau diese Balance gelingt dem Stuttgarter Kammerorchester mit bewundernswerter Präzision.

Vom eröffnenden Allegro moderato über das quirlige Intermezzo bis zum religiös getönten Lento und dem feurigen Finale entfaltet sich ein Klangkosmos von berauschender Farbigkeit. Das Orchester bietet hier alles auf, was man sich wünschen kann: den warmen Glanz der tiefen Streicher, das silbrige Schimmern der ersten Violinen, die nuancenreichen Zwischentöne der Bratschen. Widmann dirigiert mit einem feinen Gespür für die architektonischen Proportionen dieses viersätzigen Werks, ohne dabei die Details aus dem Blick zu verlieren. Die knapp zehn Minuten des dritten Satzes werden zu einem meditativen Innehalten, bevor das Finale mit seiner entfesselten Energie das Werk beschließt.

Was diese Aufnahme auszeichnet, ist die durchgehend hohe klangliche Qualität. Die Tontechnik von Channel Classics fängt das ausgewogene Klangbild des Orchesters ein, ohne zu glätten oder zu überzeichnen. Man hört die Räumlichkeit, spürt die Atemzüge zwischen den Phrasen, erlebt die natürliche Dynamik eines Ensembles, das nicht für Effekte, sondern für musikalische Wahrhaftigkeit spielt. Diese Leichtigkeit und Durchsichtigkeit, die das gesamte Programm prägt, ist keine oberflächliche Eleganz, sondern Resultat gründlicher Auseinandersetzung mit den Partituren.

Jörg Widmann beweist mit dieser Einspielung einmal mehr seine Doppelbegabung: Als Komponist schreibt er Musik von Bedeutung, als Dirigent erschließt er sowohl die jugendliche Meisterschaft Mendelssohns als auch die reife Pracht Korngolds mit gleichem Verständnis. Das Stuttgarter Kammerorchester erweist sich als idealer Partner für dieses ambitionierte Programm – ein Ensemble von hoher technischer Qualität und ausgeprägtem musikalischen Gestaltungswillen.

Dirk Schauß, im Oktober 2025

Mendelsson, Widmann, Korngold
Stuttgarter Kammerorchester
Jörg Widmann, musikalische Leitung
Channel Classics, CCS49225

 

 

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