CD „MENDELSSOHN“: ISATA KANNEH-MASON spielt Werke von Felix und Fanny Mendelssohn; DECCA
Das Album wartet mit dem ersten Klavierkonzert von Felix Mendelssohn und einer Reihe von Stücken für Klavier solo von Felix und Fanny Mendelssohn auf. Die Wiedergabe des Klavierkonzertes durch die britische Pianistin Isata Kanneh-Mason, den London Mozart Players unter Jonathan Bloxham ist ein wahrer Hit. Mit kraftvollem Anschlag, Schwung, brillant-perlenden Läufen, glitzerndem Tastengefunkel, flux aufsteigenden beidhändigen Oktaven-Tonleitern im Finale und über allem merklich ungezähmter Begeisterung für die Musik wirft sich die junge Pianistin in das musikalische Geschehen dieses dreisätzigen g-Moll Konzerts. „Ich liebe die Energie dieses Konzerts, das Klavier strahlt im gesamten Stück“, glaubt man ihr aufs Wort. Besonders in den Sätzen ‚Molto allegro con fuoco‘ und ‚Molto allegro e vivace‘ wirbeln und flitzen die Finger sportlich über die Tastatur. Kantabilität und Glücksraserei kennzeichnen dieses Konzert, das der verliebte Komponist der 17-jährigen Pianistin Delphine von Schauroth gewidmet hat. Bravouröser kann dieses Konzert nicht interpretiert werden, wobei auch den Londoner Mozart Playern mit Jonathan Bloxham an der künstlerischen Spitze (Artistic Advisor des Orchesters, ab 2024/25 Chefdirigent der Nordwestdeutschen Philharmonie) ein Teil unseres begeisterten Applauses gebührt.
Das Felix Mendelssohn Solo-Programm mit dem Scherzo (arr. Rachmaninov) und der Nocturne (arr. Moszkovski) aus dem „Sommernachtstraum“, Liszts Liedbearbeitung für Klavier von „Auf Flügeln des Gesangs“ und die beiden Ausschnitte aus den „Liedern ohne Worte“ (Nr. 2 ‚Verlorene Illusionen‘ und Nr. 6 ‚Wiegenlied‘) überrascht mit fein gewirkten Lyrismen auf der Habenseite. Die keinem programmatischen Ansatz folgenden, aleatorisch zusammengestellten Stücke gehen nach dem Orchesterschlager des Ersten Klavierkonzerts dennoch weniger unter die Haut. Das Quäntchen Poesie, Sanglichkeit und Raffinement im Spiel, letztendlich die Binnenspannung gehen hier vergleichsweise ab.
Dafür entschädigen die beiden Stücke der größeren Schwester Felix Mendelssohns, zu deren Musik die Pianistin hörbar einen heißen Draht gefunden hat. Von Fanny Hensel hören wir das zauberhafte Notturno in g-Moll H. 337 im Stil eines venezianischen Gondellieds und die Ostersonate H. 235 in A-Dur aus dem Jahr 1828. Letztere ist besonders bemerkenswert, als das mit F. Mendelssohn signierte Manuskript in Frankreich 1970 auftauchte. Es wurde erstmals 1972 von Éric Heidsieck für Platte aufgenommen. Lange Zeit war die Sonate „wegen ihrer Männlichkeit“ (Henri-Jaques Coudert) Felix zugesprochen worden. Erst die Musikwissenschaftlerin Angela Mace Christian kam der Sache auf die Spur, sie konnte den historischen Irrtum unwiderleglich zurechtrücken, als das Stück eindeutig aus Fannys Kompositionsbuch herausgeschnitten worden war.
Bei dieser virtuosen Meisterkomposition, die schon auf Olivier Messiaen hinzuweisen scheint, legt Kanneh-Mason besonderes Augenmerk auf den dramatischen Hintergrund der Sonate, nämlich die Passion Christie und die Auferstehung. Im Finale erahnen wir unter Donner den Moment des Todes Christi, als der Vorhang im Tempel lautmalerisch reißt.
Das Allegro con strepito klingt mit der Fantasie über den Choral „Christe, du Lamm Gottes“ aus. Kanneh-Mason vollbringt hier das Kunststück, die Fuge des zweiten Satzes à la J.S. Bach und die harmonische Kühnheit à la Beethoven mit glühender Expressivität, ja enormer Modernität und der lichttheatralischen Faktur eines Rembrandts zu verknüpfen. Die emotionale Dichte des Stücks ist kaum intensiver zu erleben als bei dieser exzellenten und dringlichen Wiedergabe.
Für das brillante Klavierkonzert und die strukturell transparente, inhaltlich hochdramatische Ostersonate gibt es klare Empfehlungen!
Dr. Ingobert Waltenberger