Maximilian Steinbergs Sinfonie und Schostakowitschs „Der Bolzen“:
Ein faszinierender Kontrast der russischen Moderne
Die neue Aufnahme des Ural Youth Symphony Orchestra unter Dmitry Filatov bringt mit Maximilian Steinbergs zweiter Sinfonie und Dmitri Schostakowitschs Ballettmusik „Der Bolzen“ zwei Werke russischer Komponisten des 20. Jahrhunderts erstmals gemeinsam auf eine CD. Die Auswahl könnte unterschiedlicher kaum sein: Während Steinbergs Sinfonie ein reifes Werk ist, das fest in den Traditionen der russischen Klassik verankert ist, verkörpert Schostakowitschs „Bolzen“ eine respektlose, ironische Verneigung vor der Industrialisierung und der sowjetischen Avantgarde. Diese interessante Kombination gewährt einen reizvollen Einblick in die verschiedenen künstlerischen Tendenzen einer Epoche des Wandels und ermöglicht dem Zuhörer eine packende Reise durch die russische Musikgeschichte.
Maximilian Steinberg, ein Schüler von Nikolai Rimski-Korsakow und der Lehrer des jungen Schostakowitsch, gehörte zu den Bewahrern der russischen Kompositionsschule. Mit feinem Gespür für die Tradition und klarer Formgebung schuf er Werke, die in ihrer strukturellen Raffinesse dem Erbe der russischen Musik verpflichtet sind. Seine zweite Sinfonie ist eine selten aufgeführte Rarität, das die reichen Klangfarben und das symphonische Erzählen der russischen Romantik mit den zunehmend anspruchsvollen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts verbindet. Diese Sinfonie bleibt bisher im Schatten der populäreren Vertreter russischer Sinfonik und ist daher eine willkommene Bereicherung des Repertoires.
Die zweite Sinfonie Steinbergs führt das Thema der menschlichen Persönlichkeit und deren Beziehung zur Welt musikalisch eindrucksvoll aus. Der erste Satz bietet bereits viele musikalische Aspekte, die an seinen genialen Schüler Dmitri denken lassen. Der zweite Satz wird durch die prägnant eingesetzten Holzbläser lebendig – ihre grellen und scharf umrissenen Linien verleihen der Musik eine vibrierende Schärfe, die dem Satz eine fast tänzerische Qualität verleiht. Besonders markant im dritten Satz sind die derben Glissandi der Posaunen, die zusammen mit dem prägnanten Schlagwerk und den kräftigen Streichern groteske und stark ausgeprägte Klangbilder entstehen lassen. Das Finale schließlich besticht durch seine opulente Klanggestaltung und die kraftvolle, weit ausholende Thematik, die in ihrer Erhabenheit und Pracht das Werk zu einem intensiven Abschluss bringt.
Das Ural Youth Symphony Orchestra unter Dmitry Filatov zeigt in Steinbergs Sinfonie eine beeindruckende Klanggestaltung. Die jungen Musikerinnen und Musiker spielen mit offensiver Kraft und Präzision, die besonders in den markanten Holzbläser-Passagen im zweiten Satz und in den expressiven Glissandi des dritten Satzes zur Geltung kommt. Das Schlagwerk und die Streicher klingen voluminös und ausdrucksstark. Im Finale erreicht das Orchester eine klangliche Dichte, die den sinfonischen Höhepunkt eindrucksvoll in Szene setzt. Filatovs Leitung zeigt ein feines Gespür für die dynamische Struktur des Werkes und eine deutliche Vorstellung von Steinbergs klanglichen Intentionen, was der Aufnahme eine überzeugende Lebendigkeit verleiht.
Das frühe Ballett „Der Bolzen“ von Dmitri Schostakowitsch ist ein witziges und sarkastisches Meisterwerk, das dem sowjetischen Industrialismus der 1930er Jahre musikalisch Ausdruck verleiht. Das Werk strotzt vor satirischem Humor und feinsinniger Theatralik. Schostakowitsch lässt im „Bolzen“ die rhythmischen und thematischen Mittel der Industrialisierung lebendig werden und erweist den modernistischen Strömungen seiner Zeit mit einem ironischen Augenzwinkern die Ehre. Die spritzigen Rhythmen und grellen Farben machen das Stück zu einer Art „musikalischer Karikatur“, die gleichzeitig amüsiert und fasziniert.
Das Ural Youth Symphony Orchestra zeigt im „Bolzen“ eine brillante, authentische Darbietung, die der juvenilen Energie und dem subversiven Humor des Werkes gerecht wird. Die jungen Musikerinnen und Musiker stürzen sich mit vollem Engagement in das Werk, ihre Spielfreude und hohe Konzentration verleihen der Ballettmusik eine lebendige Frische. Dmitry Filatov gelingt es, die feinsinnige Satire und die experimentellen Elemente mit Präzision herauszuarbeiten, ohne den ironischen Grundton des Stücks zu verlieren. Hier zeigt sich Filatov als ein Dirigent, der sowohl in der klassischen Tradition als auch in der Moderne zu Hause ist.
Diese Aufnahme des Ural Youth Symphony Orchestra unter Dmitry Filatov ist eine besondere Bereicherung für alle, die sich für russische Musik des 20. Jahrhunderts interessieren. Sie bietet zwei völlig unterschiedliche Perspektiven auf das musikalische Erbe Russlands: Steinbergs traditionsbewusste Sinfonie und Schostakowitschs unkonventionellen „Bolzen“. Das Orchester beeindruckt durch seine Vielseitigkeit und Spielfreude, Filatov durch seine umsichtige und zugleich engagierte Leitung. Eine gelungene Einspielung, die nicht nur in klanglicher Hinsicht überzeugt, sondern auch eine musikalische Entdeckungsreise durch eine faszinierende Ära ermöglicht.
Dirk Schauß, im November 2024
Maximilian Steinberg
Sinfonie Nr. 2
Dmitri Schostakowitsch
„Der Bolzen“
Ural Youth Symphony Orchestra
Dmitry Filatov, musikalische Leitung
Fuga Libera, FUG 831