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CD MAX BRUCH Violinkonzerte; ANTJE WEITHAAS, HERMANN BÄUMER dirigiert die NDR Radiophilharmonie; cpo

19.01.2022 | cd

CD MAX BRUCH Violinkonzerte; ANTJE WEITHAAS, HERMANN BÄUMER dirigiert die NDR Radiophilharmonie; cpo

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Max Bruch hat den Nimbus des Lückenfüllers, eines bis in den innersten Kern romantisch und gefällig bis zum Anschlag, aber eben doch lange nicht so genialen und melodienmemorablen Komponisten wie beispielsweise Johannes Brahms. Als ich Anfang der 80-er Jahre meine erste Aufnahme (die auch bis heute  meine liebste ist) des Violinkonzerts von Mendelssohn-Bartholdy mit Shlomo Mintz und dem Chicago Symphony Orchestra unter Claudio Abbado anschaffte, war auf der zweiten Seite das erste Violinkonzert von Max Bruch Op. 26 zu hören. Im Vergleich zu Mendelssohns Meisterwerk, habe ich bei Bruchs “Allerweltsgefälligkeiten” abseits des nach berauschender Filmmusik klingenden ‚Allegro energico‘ kaum etwas entdeckt, was bei mir damals  auch nur annähernd so etwas wie spontane Faszination hätte auslösen können. Heute ist das vor allem dank dieser Aufnahmen und der biographischen Notizen wesentlich anders. 

 

Bruch ist (zu Unrecht) als eine Art „Einwerk-Komponist“ genau und nur mit diesem populären Violinkonzert in die Musikgeschichte eingegangen, als dessen wohlgeratenstem Baby und verfluchtem “Allerwelts-Concert” zugleich. Der Antipode (warum eigentlich?) Brahms selbst hat die überaus bösartige Bemerkung zu diesem ersten Violinkonzert fallen lassen, dass “ er beim  Anhören desselben gar nicht zum Sitzen gekommen sei, weil er ständig habe aufstehen müssen, um alte Bekannte zu grüßen.” Über einen hochromantisch perfektionierten Schreibstil mit einer beachtlichen Quote “Fremdanteil” ist der 1920 verstorbene Komponist jedenfalls nicht hinausgekommen. Was uns heute aber nicht mehr zu interessieren braucht.

 

Nun legt cpo als Box die gesammelten Aufnahmen aller drei Violinkonzerte von Max Bruch vor, mit Antje Weithaas als exzellenter Solistin und der NDR Radiophilharmonie unter Hermann Bäumer. Zusätzlich zu den drei Konzerten gibt es die Serenade Op. 75, das Adagio „In Memoriam“ Op. 65, die Schottische Fantasie Op. 46, das Adagio appassionato Op. 57, das Konzertstück in fis-Moll Op. 84 und die Romanze Op. 42 in a-Moll zu entdecken. Jede Menge an Musik also, genauer, Bruchs Gesamtwerk für Violine und Orchester, das ja offenbaren muss, was es mit Max Bruch nun wirklich auf sich hat. 

 

Sicherlich kann durch die intensive Befassung mit diesem wesentlichen Teil von Bruchs Schaffen das Verständnis jedes Hörers enorm geschärft werden, dank der vorbehaltlos kunstsinnigen musikantischen Umsetzung. Die aktuell vielleicht beste deutsche Geigerin Antje Weithaas (Isabelle Faust klingt mir zu geradlinig dünn, Anne Sophie Mutter zu schwülstig)  legt ein überzeugendes Plädoyer für diese auf ihre Weise so reizvollen Werke und die um Aufmerksamkeit buhlende, so fragile Eigenart dieser Musik ab. Zum Verständnis von Musik und Tonsetzer tragen auch die historisch spannenden, die ganze Exzentrik der Person Bruchs, dessen Jähzorn und Selbstzweifel (so manch aberwitzige Selbstüberschätzung inklusive), versuchte Schönfärberei und emotionalen Schlingerkurs einfangenden Analysen des Eckhardt van den Hoogen enorm bei. Ein gehörig Maß Opportunismus scheint Bruch auch nicht abgegangen zu sein, wenn er gegenüber dem Verleger Simrock (der Joachim nicht ausstehen konnte) bemerkt: Joachim “ist mir, wenn ich hier beim Kultusminister etwas erreichen will, absolut nötig.” 

 

Der legendäre ungarische Virtuose Joseph Joachim und der Spanier Pablo de Sarasate sind als Pate an der Wiege von Bruchs Begeisterung für das edle Streichinstrument auszumachen. Allerdings kündigte Bruch Sarasate die Freundschaft, als dieser seiner 1899 entstandenen Serenade in a-Moll, Op. 75 sein Wohlwollen versagte. Vielleicht hat  Hermann Levi Bruchs aus der Zeit heraus zu verstehendes “Problem” auf den Punkt gebracht, als er schrieb: “Von einer schönen Phantasie zu einem schönen Kunstwerk ist noch ein weiter Schritt, sie in die künstlerische Form bannen, das ist, was den Meister macht.” Einer der größten Symphoniker war Bruch wohl nicht, aber einer, der lyrisch expressiv etwa die Violine tirilieren und trillern lassen konnte wie die menschliche Stimme. Der sangliche, poetisch traumverlorene und gleichzeitig effektvolle Partituren verfasste; deren überschwängliche Melodienseligkeit und weitausholend formulierten utopischen Sehnsüchte uns auch heute, in einer von gigantischen Kriegsgefahren, Seuchen, neuer Armut, Migration und wirtschaftlicher Unsicherheit geprägten Welt als sicheres Refugium anzusprechen vermögen. Als tief berührend erweist sich insbesondere das “In Memoriam“ in cis -Moll Op. 65, ein viertelstündiger Instrumental-Klagegesang um den Verlust einer Bruch nachstehenden Person, der es qualitativ mit den berühmtesten elegischen Eingebungen des 19. Jahrhunderts aufnehmen kann.  

 

Das Zweite Violinkonzert ist trotz dem einleitenden ‚Adagio‘ insgesamt spektakulär wirkungsvoll, voller dramatischer Wucht und begeistert mit einem fantastischen Geigensolo im ‚Allegro moderato‘. Die 1881 in Liverpool mit Joseph Joachim nach vielen Überarbeitungen uraufgeführte Scottish Fantasy Op. 46 ist von einigen Volksliedern inspiriert, wie auch der vollständige Titel “Fantasie für die Violine mit Orchester und Harfe unter freier Benutzung schottischer Volksmelodien” nahelegt. Die in Berlin entstandene Fantasie soll vom nicht näher determinierten Inhalt her auf Sir Walter Scott zurückgehen.  Ob sie erzählerisch einem alten Barden huldigt, der “im Anblick eines verfallenen Schlosses der alten herrlichen Zeiten klagend gedenkt” ist nicht gesichert, aber sehr wohl möglich. Auf jeden Fall begeistert das tänzerische angelegte ‚Allegro guerriero“, zu dem man sich auch gut ein Ballett vorstellen mag. 

 

Das dritte Violinkonzert lässt noch immer, obwohl merkbar dicker instrumentiert als die Vorgänger, der Geige reichlich Raum für ihre konzertant, dramaturgisch hervorragende Position. Pate der Erstaufführung vom Mai 1891 ist wieder Joseph Joachim. Und wieder ist es das herzzerreissende Adagio, das noch mehr Rätsel über diesen hier so tief empfindsamen, in praktischen Belangen aber so unangenehm kalkulierenden Menschen aufgibt. Das Willy Hess zugeeignete Konzertstück in fis-Moll, Op. 84 vollendete Bruch 1910. Spätromantische Vulkaneruption und volksliedhafte Simplizität sind die beiden polarisierenden Ingredienzien. Eckhardt van den Hoogen bringt es folgendermaßen auf den Punkt: “Mit welcher muskulöser Wucht, mit welch trotzigem Elan singt nicht das allegro appassionato los, worin der Solist noch einmal mit Doppel- und Dreifachgriffen, mit wilden Sprüngen und Läufen zusammenfassen darf, was den deutschen Meister des romantischen Violinkonzerts seit gut vier Jahrzehnten kennzeichnet, ehe die Stimmung völlig umschlägt, um in einem Abgesang den Schlusspunkt hinter die Geschichte zu setzen.”

 

Hermann Bäumer ist es zu danken, dass er gemeinsam mit Antje Weithaas Referenzen für die Ewigkeit vorgelegt hat. Bei romantischer Musik geht es ja immer um das Augenmaß. Wo schon ein Batzen Schlagobers in der Musik drin ist, braucht man nicht noch Butter drauf schaufeln. Es bedarf eher der Zurücknahme und dynamischer Feinstabstufungen, die den schmalen Grad zwischen großem Gefühl und Kitsch ausmachen. Antje Weithaas hat sich mit den Aufnahmen ein eigenes Denkmal errichtet, das ihren federnd schlanken, jederzeit gespannten und alle Gefühlsregungen von jubilierend bis melancholisch tonmalerisch präzise abbildenden Ton in großer Konzentration und überbordender Spielfreude in den Dienst der Sache stellt. Eine große Virtuosin ohne Hochglanz-PR-Tamtam, eine uneitle Könnerin, und so eine der wichtigsten Musikerinnen unserer Tage. 

 

Fazit: Max Bruch ist mit der Box auf das Angenehmste und mit fast dreieinhalb Stunden Spieldauer umfänglich neu zu entdecken. Antje Weithaas’ Spiel und Hermann Bäumers musikalische Leitung sind eine Offenbarung an hochsensibler, trotz allen romantischen Überschwangs stets maßvoll reflektierter Interpretation. Ein Wunder, dass von Bruchs Leben mit dem nach heutigen Begriffen wohl überaus heterogen schillernden, Eigen-PR affinen Charakter (ein wortgewandter Influencer in eigener Sache würde man heute wohl sagen) noch kein Roman geschrieben wurde. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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