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CD MAURIZIO UND DANIELE POLLINI: SCHUBERT; Deutsche Grammophon. Von den letzten Dingen: Wenn der Vater mit dem Sohne

28.10.2024 | cd

CD MAURIZIO UND DANIELE POLLINI: SCHUBERT; Deutsche Grammophon

Von den letzten Dingen: Wenn der Vater mit dem Sohne

gramo

Was für eine Intimität, was für eine musikalische Einigkeit, zumal sie mit diesem Album zwischen einem der bedeutendsten Pianisten des 20. Jahrhunderts und seinem im selben Fach reüssierenden Sohn offenbar wird. Da geht es um ein generationenübergreifendes Miteinander, ein gegenseitiges Mitteilen, da geht es nicht zuletzt um ein musikalisches Vermächtnis vom Vater an den Sohn, eben weil es sich um die letzten Aufnahmen vor dem Ableben von Maurizio Pollini handelt. Aufgenommen wurde im Juni 2022 im Herkulessaal München. M. Pollini starb im März 2024 in Mailand im Alter von 82 Jahren.

Das Album ist vor allem wegen Schuberts Fantasia in f-Moll für Klavier vierhändig, D. 940 (Daniele Pollini primo, Maurizio Pollini secondo) beachtenswert, weil Maurizio Pollini in der ersten und letzten künstlerischen Partnerschaft mit seinem rein technisch mittlerweile überlegenen Sohn Daniele hier noch einmal über sich selbst hinauswuchs. Derjenige, der den unteren Part innehat, hat auch die Kontrolle über das Pedal und ist daher der Master des Klangs, wenngleich die oberen Register dafür mehr glitzern und brillieren.

Wie der Titel „Fantasia“, die Schubert zwischen Jänner und April 1828, seinem Todesjahr, komponiert hat, schon sagt, handelt es sich um eine dramatische Erzählung, frei floatend, die einer gewissen Instinktharmonie bedarf, um zünden zu können. (Anm: Yuja Wang und Víkingur Ólafsson, die das Werk dieser Tage in der Berliner Philharmonie zum Besten geben, haben sich darauf geeinigt, nicht auf einem Flügel, sondern auf zwei Instrumenten zu spielen, sodass jeder „freie Verfügungsgewalt“ über „sein“ Pedal hat.)

Liebe bis über das Grab hinaus, alle Grade an Fragilität, Zärtlichkeit, Feierlichkeit bis zu kraftvoller Dramatik ausschöpfend, erweist sich das Duo Maurizio und Daniele Pollini als poetisch fundierte Partnerschaft, die uns menschlich und musikalisch was zu sagen hat. Maurizio Pollini, noch immer angenehm unsentimental unterwegs, lässt die rigorose Sachlichkeit zugunsten einer lyrischen Verinnerlichung weichen.

Schlicht in sich versunken, melancholisch romantisch erklingt das Molto moderato e cantabile, in dem M. Pollini in der einleitenden Klaviersonate in G-Dur, Op. 78, D 894 mit zuerst impressionistischen Tönen berührt statt wie einst strukturell intellektualisiert. Aus dem Kapazunder für die extremste Avantgarde ist ein milder Anwalt der fantastischen Klangrede des späten Schuberts in dessen 28. Lebensjahr geworden, woraus insbesondere im Andante trotz der konturiert aufgefächerten Kontraste eine berührend intime Erzählung erwächst. Dennoch vernachlässigt M. Pollini auch das Harte, das schicksalshaft Schroffe nicht. Der rhythmische Wechsel im dritten Satz geht in schwebender Leichtigkeit vonstatten. Von allzu vielen Rubati hält Maurizio Pollini nichts, die einmal angeschlagenen Tempi werden relativ strikt eingehalten. Mich reizt besonders die Selbstverständlichkeit, mit der M. Pollini irrationale Traumwelten im Allegretto in schönster Harmonie aufgehen lässt.

Daniele Pollini wiederum folgt solo mit den Moments musicaux, Op. 94, D 780. Interpretatorisch im Grunde auf Linie mit dem Vater und doch anders, dem Alter entsprechend jugendlich forscher, überzeugt Daniele Pollini mit einer ausgefuchsten Anschlagsvielfalt und vehementeren Gegensätzen. Er weiß die emotionale Vielfalt der sechs Teile kristallklar und gleichzeitig ungemein emotional (Hören Sie Nr. 5 Allegro vivace) zu gestalten. In Moment Nr. 6 in As-Dur „Allegretto“ kondensiert Schubert noch einmal all das, was zuvor angerissen, aber nicht apodiktisch gesagt worden ist, zu einem in Einsamkeit langsam gerinnenden, düsteren Ende.  

Ein Album, das aufgrund der besonderen Genesis sowie der verwandtschaftlichen und künstlerischen Verbundenheit von Vater & Sohn einen eigenen Maßstab verdient, zumal es sich um die letzte Aufnahme des legendären italienischen Virtuosen Maurizio Pollini handelt. Fünf Fotos von Cosimo Filippini mit den beiden Pianisten zeugen von gegenseitigem Respekt, Ernsthaftigkeit im Wollen und einer persönlich liebevollen Beziehung.  

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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