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CD MAURICE RAVEL „VOYAGEUR“ – MARIA & NATHALIA MILSTEIN – Kammermusik für Violine und Klavier; MIRARE

19.11.2019 | cd

CD MAURICE RAVEL „VOYAGEUR“ – MARIA & NATHALIA MILSTEIN – Kammermusik für Violine und Klavier; MIRARE

Ein Klangreisender war Ravel tatsächlich, er hat in seine Musik Elemente orientalischer, osteuropäischer und spanischer Folklore integriert. Seine Vorstellungskraft hat in seine Kompositionen über konkret gesammelte exotische Melodien hinaus – hier einem Béla Bartók anverwandt – beachtliche Spuren virtueller Wanderschaften in innere sonore Landschaften einfließen lassen. Immer inspiriert durch die Aneignung anderer kultureller Zonen. Und dennoch war Ravel so urfranzösisch, wie man sich nur einen mondänen Pariser Künstler vorstellen mag.

In seiner Villa ,Belvédère‘ in Monfort-l‘Amaury (heute ein Museum) war er umgeben von einem Sammelsurium an buntscheckigen Nippes, sogar ein japanischer Salon zierte das häusliche Kuriositätenkabinett. Ebenso vielgestaltig und eindruckstrunken ist die musikalische Reise, die uns die Geschwister Maria und Nathalia Milstein auf ihrem Album anbieten. Eine zweite konzeptuelle Idee war, die Stücke chronologisch  in der Reihenfolge ihrer Entstehung zu ordnen. So könne hörbar nachvollzogen werden, welch Trauma der Erste Weltkrieg beim weltoffenen Komponisten hinterlassen habe. „Dazu braucht man nur die beiden, 1897 und 1920 komponierten Sonaten zu vergleichen, um den von der Geschichte verursachten abgrundtiefen Unterschied zwischen dem Ravel der Belle Époche, schillernd, impressionistisch, belebt von einer jugendlichen Leidenschaft, die ihn zu den kühnsten klanglichen und harmonischen Experimenten verführte und dem Ravel der Reifezeit zu ermessen, dessen Tonsprache sich nun klar verfeinert und ohne die geringste Selbstgefälligkeit präsentiert.“ (Julie Sandler).

Die 1922 bis 1927 entstandene zweite Sonate entführt uns in die sinnlichen  Welten der Goldenen Zwanziger Jahre und des Jazz. Außer den beiden Sonaten hören wir die „Cinq Mélodies populaires grecques“ (für Violine und Klavier arrangiert von Maria Milstein), welche volkstümliche, mit Hilfe eines Phonographen auf der Insel Chios zusammengetragene Lieder enthält und die als Hommage für den berühmten Kollegen gedachte „Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré“. Das orientalischen Melismen huldigende, ursprünglich für Gesang geschriebene Totengebet aus der jüdischen Liturgie „Kaddish“ (Arrangement Lucien Garban), die der ungarischen Geigerin Jelly d‘Arányi gewidmete temperamentvolle „Tzigane“, wo mittels des Einsatzes eines Luthéals cimbaloähnliche Klänge auf dem Flügel erzeugt werden können und die das Album beschließende spanische „Pièce en forme de habanera“ stellen drei weitere Facetten aus Ravels Schaffen dar. 

Maria (Violine) & Nathalia Milstein (Klavier) beherrschen nicht nur die feinen impressionistischen Traumreisen, dieses mittelbar wie aus Kristallen leuchtende indirekte Licht einer Musik, die so notenreich einer versunkenen Vergangenheit nachzutrauern scheint, sondern auch die perkussive Härte des dritten Satzes der zweiten Sonate (Perpetuum mobile, Allegro) oder die urwüchsige Energie im Violinsolo der Tzigane. Die Klangschönheit der von Maria Milstein gespielten Violine von Michel Angelo Bergonzi (1750 Cremona) ist exzeptionell. 

Ravels Musik atmet neben oder trotz aller technischen Perfektion den unschuldigen Hauch einer in fantastisch gemusterten Stoff gewickelten Kindheit. Sich in dieser klingenden Zeitreise zu verlieren, gibt ein wunderbar leichtes schwebendes Gefühl und ist außerdem garantiert umweltschonend.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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