CD MAURICE RAVEL: QUATUOR DEBUSSY mit dem Streichquartett in F-Dur, Ma mère l’Oye, transkribiert für Streichquartett; harmonia mundi
Ein Kammermusikalbum ganz nach meinem Geschmack: Mit schillernden Farben gepinselt und doch klassizistisch ausgewogen feinjustiert in dem blinkenden Lichtreflexen ausgesetzten Stimmengeflecht. Individualistisch mit Charakter und Eigenprofil des Quatuor Debussy musiziert, vernehmen wir einen Ravel, dessen eigenwilliges Streichquartett in F-Dur diesmal außer feenhaftem Weben mit expressionistischem Drive aufgeladen betört und in den baskisch-asymmetrischen Tanzrhythmen des Finales (als Zortzico bezeichnete Abfolge von Fünfer- und Dreiertakten), glutvoll verrauscht.
Dass die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandene viersätzige Komposition aufgrund formaler Bedenken, i.e. behaupteten Verstößen gegen Kompositionsregeln vom Prix de Rome ausgeschlossen und vom Widmungsträger, Ravels Lehrer Gabriel Fauré, abgelehnt wurde, darf vom aktuellen Standpunkt in der Rückschau sogar als Kompliment gesehen werden. Denn der damals noch nicht dreißigjährige Tonsetzer mag sich zwar in der unkonventionellen Satzfolge und den ähnlichen Vortragszeichen des Scherzos an Debussys Streichquartett als Vorbild angelehnt haben, aber der junge Ravel beschritt hier unbeschwert eigene Wege in Artikulation, Agogik und den hohen Streicherstimmen. Sonnendurchflutete Anmut, entspannt fließende Bögen, Pizzicato-Übermut, spanische Gitarrenimitationen, windbewegte Kornfelder und Kobolde, die die Idylle mit manch bizarrer Verschmitztheit aufmischen. Als kleine Hörschule darf nach Lust und Laune das zyklische Ineinander der Motive und Themen reizvolle Akzente setzen.
Außer dem Quartett in F-Dur wartet das Album mit Alain Bruniers Arrangement (inkl. modifizierten Tonarten in drei der fünf Stücke) von „Ma mère l’Oye“ für Streichquartett sowie Franck Tortillers „Les danses de Ravel“ für Streichquartett und Vibraphon nach Ravels „Le tombeau de Couperin“, letztere eine Weltersteinspielung, auf.
Christophe Collette (Violine), Emmanuel Bernard (Violine), Vincent Deprecq (Vilola) und Cédric Conchon (Cello) finden den passgenauen, so einfach wirkenden wie raffiniert destillierten erzählerischen Märchenton für die Kindheitserinnerungen von „Ma mère l’Oye“. Die Pavane von Dornröschen, der kleine Däumling, Laideronette, die Kaiserin von den Pagoden, die Gespräche der Schönen und des Biests sowie der Feengarten profitieren atmosphärisch ungemein von der Transkription, die nach den Worten des Cellisten Brunier in der Entstehung sowohl die vierhändige Klavier- als auch die Orchesterfassung berücksichtigte.
In den von Tortiller selbst auf dem Vibraphon gespielten Tänzen ist die Kadenz ganz auf jazzige Improvisation getrimmt. Leichtigkeit, sanftes Experimentieren und launische Verspieltheit bestimmen das aus barocken Formen doppelt gefilterte, durchwegs elegante Stimmungsbild von Prélude, Forlane, Menuet, Comme la fugue und Rigaudon.
Dr. Ingobert Waltenberger