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CD MARTHA MÖDL 1955 – Bayreuther Festspiele – SIEGFRIED III. Akt, PARSIFAL II. Akt; Profil/Hänssler

30.01.2022 | cd

CD MARTHA MÖDL 1955 – Bayreuther Festspiele – SIEGFRIED III. Akt, PARSIFAL II. Akt; Profil/Hänssler

 

Martha Mödl zum 110. Geburtstag

0881488210552

 

Martha Mödl und Bayreuth sind Teil einer heute zu Recht als legendär betrachteten Ära des Wagnergesangs. Gemeinsam mit dem Hausherr am Grünen Hügel und Regiestar Wieland Wagner sowie einer herausragenden Sängerriege, Dirigenten wie Karajan, Knappertsbusch, Krauss, Cluytens, Sawallisch, Jochum und Keilberth wurde in Bayreuth mit und nach der Wiedereröffnung 1951 Opern- und Interpretationsgeschichte geschrieben. Und aus heutiger Sicht dank Bayerischem Rundfunk und DECCA auch Schallplattengeschichte. 

 

Martha Mödl war die erste Kundry und die erste Isolde im Nachkriegs-Bayreuth. Ich wage die Behauptung, gerade in diesen beiden Rollen war die junge vom Mezzofach kommende Martha Mödl auf eine ganz eigene Art bis heute unübertroffen. Wer den “Parsifal” DECCA-Mitschnitt aus 1951 (Mödl, Windgassen, George London), und die Tristan-Premiere unter Karajan 1952 (Mödl, Vinay, Weber, Hotter, Uhde, Stolze, Malaniuk) auf Schallplatte hört, kann leicht die Faszination nachvollziehen, die damals von dieser einzigartigen Künstlerin ausgegangen sein muss. Die satte Tiefe, die üppige Mittellage verbunden mit einer Top-Höhe, die ruhige Stimmführung, ein traumhaftes Legato sowie das sofort wieder erkennbare rauchig samtene Timbre  prägten alle Rollenporträts dieser Zeit. 

 

Im Sommer 1955, also kurz vor der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper, wo sie in der Titelrolle im “Fidelio” besetzt war, sang Martha Mödl in Bayreuth die Kundry und die Brünnhilde. Wieland Wagner hatte mit einer optisch abstrakten Inszenierung des Rings samt Rundhorizont und einer magischen Lichtregie für Furore gesorgt, und war 1955 schließlich auch beim Publikum ohne Vorbehalte gefeiert worden. In den Besetzungen herrschte in diesem Jahrzehnt eine erstaunliche Kontinuität, auf jeden Fall, was die Partien der Kundry (Mödl, Crespin), der Brünnhilde (Mödl, Varnay) oder der Isolde (Mödl, Varnay, Nilsson) anlangte. An Martha Mödl schätzte Wieland Wagner, dass „Stimme, Persönlichkeit und Darstellung eine absolut untrennbare Einheit“ bildeten.

 

Auf der vorliegenden Doppel-CD ist zum ersten Mal – noch dazu auf Basis der fantastisch direkten, was die Stimmen anlangt, natürlich und präsent klingenden Originalbänder des Bayerischen Rundfunks – der Mitschnitt des dritten Akts „Siegfried“ vom 12. August 1955 mit Mödl als Brünnhilde, Windgassen als Siegfried, Hotter als Wanderer und von Ilosvay als Erda unter der musikalischen Leitung von Joseph Keilberth zu hören. Desgleichen bildet der zweite Akt „Parsifal“ mit Martha Mödl (Kundry), Ramón Vinay (Parsifal) und Gustav Neidlinger (Klingsor) unter der musikalischen Leitung von Hans Knapperstbusch vom 16. August 1955 ein willkommenes Novum auf Tonträger. 

 

Damit schließt sich eine diskographische Lücke der akustisch so reichhaltig dokumentierten 50-er Jahre der Bayreuther Festspiele. Vor einigen Jahren hatte die erste Veröffentlichung des gesamten ersten Ringzyklus 1955 in frühem Stereo (DECCA experimentierte damals erfolgreich) u.a. mit Varnay, Hotter, Vinay, Brouwenstijn, Windgassen, Greindl, Neidlinger, Uhde beim Label Testament für Aufsehen gesorgt. Vom zweiten Ring-.Zyklus mit Martha Mödl als Brünnhilde sind damals „Die Walküre“ und „Götterdämmerung“ erschienen. Beide Zyklen wurden von Joseph Keilberth, einem der besten und spannendsten Wagner-Dirigenten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dirigiert.

 

Die Begegnung mit Martha Mödl als Siegfried-Brünnhilde ist besonders reizvoll, weil die Sängerin 1955 mit im Vergleich zu 1953 schon merklich schwerer gewordener Stimme von den dunklen Stimmfarben eines Kontraalts sich zu hochdramatischen Höhen aufschwingt, die wirklich das Sonnenlicht zu reflektieren scheinen. Ja, es gibt stimmtechnisch perfektere Sängerinnen, aber kaum in ihrer Leidenschaft vorbehaltslos brennendere. Mödls künstlerische Partnerschaft mit Wolfgang Windgassen im “Siegfried” wirkt auf den Hörer ebenso zwingend überwältigend wie diejenige im “Parsifal” mit Ramón Vinay.   

 

Martha Mödls Kundry ist auf Tonträgern bestens dokumentiert. Offizielle und inoffizielle Mitschnitte gibt es aus den Jahren 1949 (Köln), 1951 (Bayreuth), 1952 (Bayreuth), 1953 (Bayreuth), 1954 (Bayreuth, Paris), 1956 (Bayreuth, Rom), 1957 (Bayreuth) und 1959 (Bayreuth). Mödls in der Herzeleide Erzählung vollkommen samtig-ebenmäßig fließender Sopran, als auch ihre wahrlich wild-kreatürlichen Aufschreie wie aus einem anderen Universum zu Beginn des zweiten Akts machen sie zu einer unvergesslichen Rollenvertreterin. Der Mitschnitt aus 1955 ist wegen der intensiven live-Atmosphäre, dem ebenfalls wesentlich dunkler gewordenen Vinay als auch wegen der herausragenden Tonqualität (im Vergleich zum “Siegfried” aus dem Keilberth Ring 1953 und dem Furtwängler-RAI Ring, Frühjahr 1953) wärmstens zu empfehlen.

 

Im Booklet ist eine hübsche Kindheitserinnerung der Daphne Wagner, die sich auch um die Veröffentlichung der Aufnahmen verdient gemacht hat, nachzulesen. Da ihr Vater Wieland immer wieder betonte, dass Martha Mödl fesseln kann wie keine andere, dachte Daphne, um dem Vater zu gefallen, mache ich das auch. Nur nahm das aufgeweckte Kind das mit dem „Fesseln“ allzu wörtlich. Sie schlich sich in die Garderobe der Mödl, die sich gerade für eine Aufführung schminkte. Daphne fesselte die vom Papa so gepriesene Sängerin an ihren Sessel, die so tat, als merke sie nichts. Plötzlich legte die Mödl mit Brünnhildes „Grane, mein Ross sei mir gegrüßt“ los. Daphne Wagner im O-Ton: „Dann lachte sie ein für mich furchterregendes Bühnenlachen, von dem ich erst später erfuhr, dass es in noch wilderer Form zur Kundry gehörte, sprang hoch aus ihrem Sessel, nahm mich in ihre Arme und küsste mich. ,Danke sehr für das Entfesseln‘, sagte sie, nachdem sie mir ihre Schminke aus dem Gesicht getupft hatte.“ Daphnes Bruder Wolf-Siegfried kommentierte meinte dazu „Du hättest Knappertsbusch fesseln sollen.“ 

 

Ein Wort möchte ich noch zu der wichtigsten Person hinter den Kulissen sagen: Ohne die staunenswerte Beharrlichkeit und große Geduld des Helmut Vetter wären weder diese Publikation noch die Doppel-CD „The Portrait of a Legend“ (ebenso bei Hänssler erschienen) möglich gewesen. Auch nicht Initiativen wie die Jubiläumsausstellung von Martha Mödl in Bayreuth, die später auch an der Deutschen Oper Berlin gezeigt wurde. Die Musikfreunde in aller Welt können sich glücklich schätzen, wenn privat rührige Opernbegeisterte das Erbe der von ihnen verehrten Künstler und Künstlerinnen weiterführen, es pflegen und immer wieder – auch eigenfinanziert – in die Öffentlichkeit tragen. Dafür gebührt Dir, lieber Helmut Vetter, ein ganz herzlicher Dank – nicht zuletzt auch für das wunderbar witzige Foto auf dem Cover, das eine in die Ferne schauende Martha Mödl im Dirndl vor dem Hintergrund des Festspielhauses zeigt. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

 

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