Ein anderes Bruckner-Bild
Mari Kodama enthüllt den Klavierkomponisten Anton Bruckner zum 200. Jubiläum
Anlässlich des 200. Geburtstags von Anton Bruckner veröffentlicht die Pianistin Mari Kodama bei Pentatone eine Sammlung seiner selten gespielten Klavierwerke. Diese Aufnahme eröffnet neue Perspektiven auf einen Komponisten, der weitgehend für seine monumentalen Sinfonien und sakrale Musik bekannt ist. Doch Bruckners Klavierstücke offenbaren eine andere, fast intimere Seite seines Schaffens: eine leichtere, verspieltere und manchmal überraschend zugängliche Facette. Diese CD bietet eine reiche, lohnenswerte Gelegenheit, Bruckners musikalisches Denken von einer ungewohnten, faszinierenden Seite zu erleben.
Mari Kodama beeindruckt mit einer vielseitigen Diskografie bei Pentatone. Neben den vollständigen Klaviersonaten Beethovens hat sie bedeutende Aufnahmen von Tschaikowskys Ballett-Suiten sowie den Klavierkonzerten von Loewe und Chopin vorgelegt. Kodama ist bekannt für ihren analytischen Verstand und ihre besondere Sensibilität für Phrasierung und Klanggestaltung. Mit dieser Aufnahme beweist sie, dass sie nicht nur das sinfonische Erbe Bruckners zu würdigen weiß, sondern auch seine eher unbekannte, aber höchst interessante Klaviermusik.
Die Sammlung, die Kodama für diese Aufnahme zusammengestellt hat, umfasst sowohl vollständige Werke als auch Skizzen und Studien, die einen tiefen Einblick in Bruckners kompositorische Werkstatt gewähren. Besonders eindrucksvoll ist die Fantasie d-Moll, ein Stück, das Bruckners dramatischen Sinn für Struktur offenbart. Die „Stille Betrachtung an einem Herbstabend“ wiederum zeigt den lyrischen, nachdenklichen Bruckner, dessen Musik stets von einer tiefen Spiritualität durchdrungen ist.
Leichtere Stücke wie die Lancier Quadrille und die Polka C-Dur enthüllen eine humorvolle und beinahe verspielte Seite, die in seinen Sinfonien selten zum Vorschein kommt. Kaum einer dürfte bei dieser musikalischen Heiterkeit an Bruckner denken! Diese Werke stehen im Kontrast zu den eher ernsten Stücken wie dem ersten Satz der Klaviersonate g-Moll, in dem Bruckners Vorliebe für dramatische Kontraste und harmonische Kühnheit spürbar wird.
Besonders hervorzuheben ist auch das Thema mit Variationen Nr. 5, das sowohl technische Finesse als auch melodische Klarheit erfordert. Hier zeigt sich Bruckner als Erfinder, der sein Material mit erstaunlicher Leichtigkeit und Eleganz variiert.
Mari Kodama meistert die Herausforderungen dieser heterogenen Sammlung mit großer Kunstfertigkeit. Ihre Phrasierung ist stets klar und durchdacht, was besonders in den lyrischeren Stücken wie der „Stille Betrachtung an einem Herbstabend“ und dem Andante Es-Dur zur Geltung kommt. Kodama versteht es, Bruckners weitgespannte Melodiebögen in eine natürliche, atmende Form zu gießen, ohne dass die Musik an Spannung verliert. Auch in den Tänzen wie den Walzern Nr. 1 & 2 oder der Mazurka a-Moll beweist sie ein feines Gespür für rhythmische Leichtigkeit und elegante Agogik.
In technischer Hinsicht brilliert Kodama vor allem in den Etüden, insbesondere in der Chromatischen Etüde F-Dur. Ihr Anschlag bleibt auch in den virtuosesten Passagen kontrolliert und differenziert, ohne dabei an Ausdruckstiefe einzubüßen. Dynamisch lotet sie die Extreme aus, ohne jemals ins Überzogene abzugleiten. Ihr Spiel vereint Klarheit und Emotion auf bewundernswerte Weise.
Die Aufnahme selbst ist von feiner Qualität, wie man es von einer Pentatone-Produktion erwartet. Der Flügel klingt voll und rund, ohne je an Transparenz zu verlieren. Besonders gelungen ist die Balance zwischen den verschiedenen dynamischen Schichten – jede noch so feine Nuance in Kodamas Spiel wird hörbar, und der Raumklang unterstützt die Klarheit und Präzision ihrer Interpretation. Der Klang ist niemals überladen, sondern immer durchlässig, was den Hörer tief in die musikalischen Strukturen eintauchen lässt.
Mit dieser CD gelingt es Mari Kodama, einen freudvollen Blick auf Anton Bruckner als Klavierkomponisten zu werfen. Die Zusammenstellung der Stücke offenbart nicht nur die Vielfalt seines Schaffens, sondern auch seine Fähigkeit, das Klavier als Ausdrucksinstrument für eine Vielzahl von Stimmungen und Ideen zu nutzen. Kodamas differenzierter Vortrag, ihr technisches Können und ihre sensible Interpretation machen diese Aufnahme zu einem wertvollen Beitrag zum Bruckner-Jahr. Eine klare Empfehlung für alle, die Bruckner einmal von einer neuen, unerwarteten Seite kennenlernen möchten.
Dirk Schauß, im Oktober 2024
Mari Kodama
Bruckner Piano Works
Pentatone PTC 5187224