CD MARIA CALLAS – LA DIVINA; Warner Classics
Veröffentlichungen auf CD und Vinyl aus Anlass des 100. Geburtstages der Primadonna assoluta
Am 2. Dezember 2023 begeht die Welt der Oper den 100. Geburtstag von Mary Kalogeropoulou alias Maria Callas. Im Laufe des Jahres wird der nun alle Rechte an den frühen Cetra-, RAI und den EMI-Studioaufnahmen habende Mediengigant Warner zahlreiche Veröffentlichungen, das heißt bisher schon vorhandenes Material in neuen Zusammenstellungen, CDs sowie LPs, herausbringen. Zu letzteren, 2023 publizierten, die bereits in neuen teils fancy Vinyl Pressungen am Markt erhältlich sind, zählen Bellinis „Norma“ aus dem Jahr 1960 (Tullio Serafin), Bizets „Carmen“ (George Prêtre), Puccinis „Turandot“ (Tullio Serafin), die Arien-LP „La Divina“ mit einem Mix aus Studio- und Live-Aufnahmen auf durchscheinend rotem 140g Vinyl bzw. die Arien-LP „Assoluta“ auf weißem Crystal 140g Vinyl. Alle Aufnahmen wurden 2014 in den Abbey Road Studios von Originalbändern remastert.
Als Höhepunkt des Callas-Jahres auf Tonträgern hat Warner am 22. September 2023 eine umfassende, „La Divina“ – Maria Callas in all ihren Rollen“ titulierte 131 CD-Box mit 3 Blu-rays (Recitals aus Paris 1958, Hamburg 1959 & 1962, Covent Garden 1962 & 1964) und einer DVD mit Libretti, Interviews und Texten herausgebracht. Damit handelt es sich um die umfangreichste Audio- und Video Callas-Publikation, die je veröffentlicht wurde. Die limitierte Deluxe-Edition präsentiert die Sängerin in den 74 Rollen (nur einen Teil davon hat sie komplett oder auf der Bühne gesungen), für die Tondokumente existieren. Das heißt, der Käufer bekommt die kompletten Studioaufnahmen und ausgewählte Live-Mitschnitte der im italienischen Fach vor allem in den 50-er Jahren Maßstab setzenden Gesangskünstlerin. Dazu gibt es einige wenige Videos, die Meisterklassen an der Juilliard School, und eine Bonus-CD mit Weltpremieren: alternative Takes und Gespräche zwischen Maria Callas, den jeweiligen Dirigenten und Aufnahmeleitern in den Aufnahmesitzungen über Korrekturen, Änderungen oder Interpretationen aus den 1960er-Jahren. Dazu ein Buch mit 148 Seiten, reich illustriert.
Für diejenigen, die schon fast alles haben oder die es kostenbewusster und platzsparender angehen wollen, sollte es auch das Picture-CD Doppelalbum „La Divina“ tun, das ab 20. Oktober zum Kauf angeboten werden wird.
Maria Callas, ein Mythos: Als neugierige, risikoaffine, innovative, hoch disziplinierte, immer bestens vorbereitete und charismatische Sängerin ist die temperamentvolle Bühnentigerin heute legendenumrankt, als sich nicht nur optisch in den frühen 50-er Jahren völlig neu Erscheinende ist Maria Callas das Urbild einer selbstbestimmten modernen Frau. Nach der Liaison mit dem griechischen Reeder-Milliardär Aristoteles Onassis machte die Callas als Jetsetterin, Chanel-Modestilikone, Partylady und selbstbewusste Drama-Queen mit scharfer Zunge Schlagzeilen und füllte die Klatschspalten in sensationsheischenden Hochglanz-Magazinen. Die Kehrseite der an der Oberfläche funkelnden Medaille traten nach und nach zutage: das Verglühen der Stimme, der Bühnenabschied mit jungen 42 Jahren, Rückzug, Einsamkeit und ein fürchterlich früher Tod in ihrer Pariser Wohnung im September 1977.
Rein stimmlich ist Maria Callas nicht meine Lieblingssängerin. Die metallische Härte im Timbre, das kurze Vibrato waren und sind meine Sache nicht. Für „Tosca“, Leonore in „La forza del destino“ oder „Aida“ gestehe ich, bisweilen lieber Coca-Cola (so hatte die Callas die Stimme der Tebaldi einst bezeichnet) anstatt Champagner zu trinken. Und dennoch. Maria Callas war mehr als eine Sängerin. Sie verkörperte, folgt man denjenigen, die sie live erlebt haben, die Quintessenz dessen, was auf einer Bühne an kluger Rollengestaltung und Entäußerung ohne Rücksicht auf Verluste möglich war: schauspielerisch, gesanglich, von der Aura her fand eine komplette Identifikation mit jeder Opernheroine statt.
Wenn ich ihre Violetta in „La Traviata“, ihre „Norma“, „La Gioconda“ oder vor allem ihre „Lucia di Lammermoor“ (die Aufnahme 1953 mit di Stefano und Gobbi mit Serafin am Pult markierte den Einstieg in den Plattenvertrag mit der EMI) höre, so kenne ich keine andere Sängerin, die von der jede Grenzen sprengenden Expressivität in Kombination mit der Kunstfertigkeit der Stimmführung, der abgründigen Tiefe und Überlebensgröße der vokalen Charakterisierung, der antikischen Tragik her faszinierender und zwingend packender ist als sie. Und mich im Innersten mehr berührt. Manche ihrer auf Schallplatte erhaltenen „Lives“ sind wie einsame Naturschauspiele, die man stumm und elektrisiert verfolgt, wegen ihrer unfasslichen Wucht und der an selbstzerstörerische Limits gehenden Unbedingtheit.
Dazu kommt, dass die Callas mit dem Tenor Giuseppe di Stefano den vom Typ her ideal-draufgängerischen Partner in vielen Opern und deren Aufnahmen an ihrer Seite hatte. Diese Kombination war nicht nur in Verdis „Un ballo in maschera“ unwiderstehlich. Eine ausgesprochene „Plattenstimme“ hatte die alle Fachgrenzen von Koloratur über lyrisch bis (hoch)dramatisch sprengende „Assoluta“ glücklicherweise auch. Die dramatischen Qualitäten einer Rolle, ihre existenzielle Kraft, die vokale Selbstentäußerung, die Fragilität des Frauseins in der Oper, die gestalterischen Feinzeichnungen, die berühmte Träne bzw. die ausgefahrenen Krallen in der Stimme konnten von den Mikros in den Stimmporträts der Mimi, der Amina, der Medea, der Carmen, der Lady Macbeth oder der Anna Bolena glasklar und atemberaubend wirksam bis heute und in alle Ewigkeit eingefangen werden.
Ungewöhnlich wie die ganze Laufbahn waren auch die Ausbildung und der frühe Beginn als Sängerin. Mit vierzehn beginnt sie ihr Gesangsstudium am Nationalkonservatorium, die Mutter hatte, um das fehlende Lebensjahr zu kaschieren, einfach die Dokumente gefälscht. Entscheidend war aber die Begegnung mit Elvira de Hidalgo, bei der sie ab 15 Jahren die Stunden aufnimmt und der sie das untrügliche Stilgefühl für Belcanto und französische Opern und wahrscheinlich auch so etwas wie Nestwärme verdankte. Mit 19 Jahren (!) nach nur fünf Jahren Ausbildung debütierte Callas als Tosca und somit gleich in einer Spintorolle an der Nationaloper von Athen, lässt man die Studentenaufführung von „Cavalleria rusticana“ außer Betracht, wo Maria Callas schon 1939 als Santuzza auftrat. Als blutjunge „Mittzwanzigerin“ sang Callas bereits anspruchsvollstes deutsches Repertoire, wie die Marta im Tiefland, Fidelio oder die Isolde. Das italienische Stimmfach interpretierte sie beeindruckend häufig. Die Norma brachte es auf 91 Aufführungen, Violetta auf 57, die Lucia auf 40, die Tosca immerhin auf 32 Auftritte (Quelle: Wikipedia).
Die neuen CD-Zusammenstellungen von Warner überzeugen neben den optimierten Tonqualitäten durch ein aufschlussreiches Nebeneinander von Studio und Live-Aufnahmen. Wobei Callas erstaunlicherweise auch im Studio in der Lage war, stimmlich eine Figur abseits der Bühnenatmosphäre in all ihren emotionalen Facetten zu imaginieren. Die in der Regel technisch weniger guten Live-Aufnahmen profitieren darüber hinaus von der Spontanität und dem Thrill des Augenblicks.
Fazit: Oper als großes Welttheater, als größtdimensioniertes gesamtheitliches Medium existenzieller Erschütterung und Wahrhaftigkeit: Die Callas-Aufnahmen legen davon beredtes, wissendes und bis ins Mark treffendes Zeugnis ab.
Kuriosität am Rande: Im Jahr 2018 gab es eine Callas-Hologramm-Tournee in den USA und in Europa. Baseler Techniker haben die Opernlegende als dreidimensionales Hologramm ersteht lassen. Begleitet von Liveorchester und Originalaufnahmen wurden Arien aufgeführt. Initiator des Projekts war Marty Tudor, Chef von BASE Hologram.Wie das ausgesehen hat, können Sie im folgenden Trailer sehen. https://www.warnermusic.de/news/2018-11-05/maria-callas-live-erleben
Inhalt der Doppel-CD „La Divina“
CD Studio Aufnahmen – Vincenzo Bellini: Casta Diva aus „Norma“; Ah! non credea mirarti aus „La Sonnambula“; In questa reggia aus „Turandot“; Habanera aus Georges Bizets Carmen; Gioacchino Rossini: Nacqui all’affano…Non piu mesta aus „La Cenerentola“; Giacomo Puccini: Un bel vedremo aus „Madama Butterfly“; Si. chiamano Mimi aus „La Bohème“; O mio babbino caro aus „Gianni Schicchi“; Giuseppe Verdi: Ah, fors’e lui che I’anima, Follie! follie! Delirio vano è questo, Sempre libera, Addio, del passato aus „La Traviata“; Merce, dilette amiche aus „I Vespri siciliani“; Pace, pace mio Dio aus „La Forza del Destino“; Una macchia e qui tuttora aus „Macbeth“; Suicido aus Amilcare Ponchiellis „La Gioconda“; Gaetano Donizetti: Quando rapito in estasi aus „Lucia di Lammermoor“
CD Live Aufnahmen – Gaetano Donizetti: Di quai soavi lagrime aus „Poliuto“; Coppia iniqua, l’estrema vendetta aus „Anna Bolena“; Giuseppe Verdi: Vanne, lasciami…D’amor sull’ali rosee aus „Il Trovatore“; Morro, ma prima in grazia aus „Un Ballo in Maschera“; Gualtier Malde…Caro nome aus „Rigoletto“; Arrigo! ah! parli a un core aus „I Vespri siciliani“; Giacomo Puccini: Vissi d’arte aus „Tosca“. O mio babbino caro aus „Gianni Schicchi“; Georges Bizet: Seguidilla aus „Carmen“; Leo Delibes: Aria della campelle aus „Lakme“; Gioacchino Rossini: Una voce poco far aus „Il Barbiere di Siviglia“; Gustave Charpentier: Depuis le jour aus „Louise“; Gioacchino Rossini: Bel raggio lusinghier aus „Semiramide“; Richard Wagner: Dolce e calmo aus „Tristan und Isolde“ (in italienischer Sprache); Vincenzo Bellini: Quando a un tratto il mio consorte & Sventurata, anch’io deliro aus „Il Pirata“; Jules Massenet: Je ne suis que faiblesse…Adieu, notre petite table aus „Manon“.
Dr. Ingobert Waltenberger