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CD MARC-ANTOINE CHARPENTIER: DAVID & JONATHAS, Live-Mitschnitt vom Juli 2021 aus der Opéra Royal du Château de Versailles; apartemusic

22.03.2024 | cd

CD MARC-ANTOINE CHARPENTIER: DAVID & JONATHAS, Live-Mitschnitt vom Juli 2021 aus der Opéra Royal du Château de Versailles; apartemusic

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Etwas über ein halbes Jahr ist es her, dass Charpentiers grandiose Tragédie en musique in einem Prolog und fünf Akte auf ein Libretto von Pater Francois de Paul Bretonneau mit Reinoud van Mechelen, Caroline Arnaud, David Witczak, Francois-Olivier Jean, dem Ensemble Marguerite Louise unter der musikalischen Leitung von Gaétan Jarry bei Château de Versailles Spectacles erschienen ist. Nun ist abermals eine Neuaufnahme publiziert worden.

Die Tatsache, dass das Jesuitenkolleg Louis-le-Grand während der Karnevalsfeierlichkeiten im Jahr 1688 „David et Jonathas“ von Marc-Antoine Charpentier (gemeinsam mit der lateinischen Tragödie „Saul“) mit jungen Schülern des Instituts verstärkt um Sänger und Instrumentalisten der Académie royale de musique vor einem illustren Publikum, darunter zahlreiche Mitglieder des königlichen Hofs aufführte, veranlasste den Dirigenten Olivier Schneebeli, die Dessus der Chöre, die Partie des Jonathas und kleinere Soloparts (Schäfer, Gefangene und Coryphées) mit Kinderstimmen der Chantres du Centre de musique Baroque de Versailles zu besetzen. Für etliche der „erwachsenen“ Rollen konnten ehemalige Schüler, nunmehrige „Versailles-Absolventen“ gefunden werden. Eine weitere Besonderheit des Albums ist, dass (ohne dramaturgischen Gewinn) vor dem Prolog und den Akten zwei bis fünf Texte aus Antoine Godeaus „Paraphrase de la Plainte de David sur la Mort de Saul et Jonathas“ deklamiert werden.

Die Geschichte von „David & Jonathas“ erzählt die Glorie von Macht und die Fallstricke derselben. Schneebeli vergleicht diese eminent politische Oper mit Mussorgskys „Boris Godunov“, und sieht in der Rolle des in seine Dämonen verstrickten, wankenden, halluzinierenden und gemarterten Saul erstaunliche Parallelen zum russischen Zaren.

In der neuen Aufnahme wird auf einem fast so hohen Niveau wie der eingangs genannten musiziert. Olivier Schneebeli und dem Orchestre Les Temps Presents (das Ensemble existiert seit 20 Jahren und ist auf französische und deutsche Barockmusik, insbesondere auf Bach und Buxtehude, spezialisiert) gelingen eine überzeugende musikalische Umsetzung auf der Höhe der aktuellen wissenschaftlichen und artikulatorischen Erkenntnisse. Die Hauptrollen sind mit Clement Debieuvre (David), David Witczak (Saul), Edwin Crossley-Mercer (L’Ombre de Samuel, Achis), Jean-Francois Novelli (Joabel) und Jean-Francois Lombard (la Pythonisse) im Großen und Ganzen ansprechend und vokal aus dem Vollen schöpfend besetzt.

Jetzt kommt das „Aber.“ Die Durchmischung des Opernchors mit Kinderstimmen ist zwar meine Sache nicht, aber – abgesehen von häufigen Intonationsproblemen von Knabensopranen – diskussionswürdig. Dass allerdings für die Rolle des Jonathas eine Mädchenstimme (Natacha Boucher) gewählt wurde, stört die vokale Balance erheblich. Boucher schlägt sich tapfer, ist aber weder von Projektion, Volumen, Stimmfarben, Verzierungsakkuratesse in der Lage, in den Duetten neben Clement Debrieuvre und Ensembles zu bestehen.

Fazit: Ich halte Schneebelis Besetzungsideen akademisch-historisch motiviert und auf dem „Reißbrett“ konzipiert. In der musikalischen Umsetzung überzeugt das nicht. Die Aufnahme kann daher für meine Ohren nicht mit derjenigen von Gaétan Jarry mithalten, wo die Sopranistin Caroline Arnaud in der Rolle des Jonathas auf Augenhöhe mit dem David des aktuell ohnedies unüberbietbaren Reinoud van Mechelen agiert.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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