Montanari, Giulia / Ranch, Bettina / Prager Philharmonischer Chor / Netopil, Tomas / Essener Philharmoniker
„Mahler: Sinfonie Nr. 2 c-Moll „“Auferstehung““
Erschienen am: 21.Okt.2022
Komponist: Mahler, Gustav
Label: OehmsClassics
Art. Nr.: OC1717
Sechs Jahre währte der Schaffensprozess an Mahlers gewaltiger „Auferstehungssinfonie“, die zum einen auf die „Wunderhorn“-Lieder zugreift und zum anderen Mahlers extreme Gefühlswelt außergewöhnlich intensiv abbildet.
Die Essener Philharmoniker und ihr scheidender Generalmusikdirektor Tomás Netopil präsentieren nun bereits die dritte Aufnahme einer Mahler Sinfonie, hier ein Live-Mitschnitt vom Mai 2019.
Netopil beginnt den ersten Satz mit großer Vehemenz bei genauer Beachtung der dynamischen Vorgaben und lässt die Essener Philharmoniker herrlich auftrumpfen. Die Kontraste sind schroff und ruppig. Die Kontrabässe spielen mit selten zu hörender Wucht. Ein spektakulärer Beginn!
Die Bläser sind sehr gut in den Tuttiklang eingebunden. Netopil geht keiner Kontrastwirkung aus dem Weg. Mit hörbarer Entdeckungsfreude werden alle Chancen genutzt, diese Sinfonie mit nie nachlassender Spannung zu gestalten. Mit ausgezeichnetem Timing und fein ausgewogener Dynamik gestaltet er ebenso die Lyrismen im Mittelteil des Satzes. Die Musik atmet und beruhigt sich bis zum nächsten Aufruhr. Dieser erste Satz ist finster und bedrohlich gestaltet. Fern ist das Licht des Finales.
Das Andante moderato fließt etwas zügiger, ohne Hast mit großer Natürlichkeit. Die Glissandi in den Streichern sind delikat gespielt und werden durch feine Rubati ergänzt. Dieser Satz zeigt die superbe Klangqualität der Streicher der Essener Philharmoniker, die kammermusikalisch sensibel im gemeinsamen Austausch sind. Dazu die überzeugend vorgetragenen Soli der qualitätsvollen Holzbläser. Netopil führt den Zuhörer in eine Idylle, die trügerisch ist. Sehr klar und ungeschönt lässt er das Abgründige auch in diesen Satz hineinragen. Dann endet dieses Intermezzo mit deutlich gedehnten Pausen, in welchen das Orchester wach und präzise agiert.
Mit etwas gedrosselter Wucht beginnt der dritte Satz. Dies bedeutet jedoch nicht, dass hier die spielerische Energie reduziert würde. Im Gegenteil. Wieder hat Netopil große Begeisterung an der Schärfung der Kontraste. So darf die Solo-Klarinette wirklich, wie Mahler forderte, „mit Humor“ spielen darf und die ironische Färbung gelingt dem Solisten vortrefflich. Wie zuvor bereits garantiert Netopil eine gute Transparenz im Tuttiklang.
Bettina Ranch gestaltet mit großer Ruhe und angenehmem Stimmklang ihr berühmtes Alt-Solo „Urlicht“. Die Textverständlichkeit ist nur mäßig und leider bleibt auch die Gestaltung der Worte auf der Strecke. Damit reiht sie sich in die zu große Reihe der Sängerinnen ein, die dieses so wichtige Solo lediglich korrekt wiedergaben. Es ist und bleibt viel zu wenig. Schade.
Mit mächtigem Furor, so als gäbe es kein Halten mehr, stürzen die Essener Philharmoniker in den letzten Satz. Erstmals ertönt hier das Fernorchester, sehr gut in die Raumakustik eingefangen. Mit schönster Klangkultur entfalten Flöte, Oboe und Trompete ihre Solobeiträge. Ebenso sind auch das flehende Englischhorn und die charakteristischen Klänge der Fagotte zu loben.
Gänsehaut pur erzeugen die majestätischen Blechbläser des Orchesters, die ihren Choral herrlich breit ausspielen durften. Leider nimmt Netopil auf diesem Höhepunkt das Schlagzeug zu deutlich zurück, so dass hier ein etwas matter Glanz zu vernehmen ist. Umso größer dann wieder der Kontrast, als die Schlagzeuger in ihrem großen Crescendo dann vollends loslegen durften. Auch hier kein akustischer Tumult, sondern klar erkennbare Strukturen im Querschnitt der gesamten Partitur.
Netopil zeigt besonders in diesem Satz seinen herausragenden Sinn für klare Spannungsverläufe. Stürmisches Drängen wird mit empfundenen Verlangsamungen kontrastiert. Der „Letzte Apell“ wird durch ein ungewöhnlich deutliches Grummeln der großen Trommel bewusst eingetrübt, ein überzeugender Effekt, ehe die rasanten Fanfaren der Trompeten und die Vogelstimmen der Flöten den Weg ebnen für den mystischsten Choreinsatz der Musikliteratur. Sehr langsam, dabei homogen im Klang, intoniert der Prager Philharmonische Chor das „Auferstehn“, ungewöhnlich nahe am Ohr des Zuhörers.
Sopranistin Giulia Montanari ufert mit ihrem weiten Vibrato am Beginn ihres Solos ein wenig aus, kann dennoch mit warmer Stimmfarbe gefallen. Auch bei ihr ist leider kein Sinn für Textgestaltung erkennbar.
Hervorragend ist das finale Zusammenspiel zwischen den herrlich aufspielenden Essener Philharmoniker und dem ausgezeichneten, perfekt intonierendem Chor, sauber artikulierend und edel im kollektiven Stimmklang.
Die Aufnahmetechnik sorgt für einen warmen und zugleich wuchtigen, die Tiefen betonenden Klang. Lediglich das Schlagzeug, vor allem die Becken, sind bedauerlicherweise zu weit entfernt eingefangen. Den Forte Schlägen fehlen Wucht und Glanz, Abstufungen im Pianissimo sind zuweilen kaum zu hören. Schade, denn auch die Schlagzeuger der Essener Philharmoniker überzeugen durch ihre dynamische Bandbreite und ihr offensives Spiel. Hier hätte die Aufnahmetechnik mehr klangliche Präsenz gewähren sollen.
Alles in allem eine gelungene Aufnahme und ein würdiges Dokument für die hervorragenden Essener Philharmoniker und Tomás Netopil.
Dirk Schauß, im Oktober 2022