CD MÄNNERLIEBE UND LEBEN: GÜNTHER GROISSBÖCK singt Lieder von Beethoven, Schumann, Bruckner und Brahms; Gramola
„Denn vor diesen Liedern weichet was geschieden uns so weit, und ein liebend Herz erreichet, was ein liebend Herz geweiht.“ Aus ‚Nimm sie hin denn, diese Lieder‘ (An die ferne Geliebte)
Männerliebe und Leben: Was für ein Titel! Abgeleitet von Adelbert von Chamissos erdachtem, von Robert Schumann vertontem Gedichtzyklus „Frauenliebe und Leben“, Op. 42, mag sich jeder genau das spiegelbildlich dazu imaginieren, was er will. Chamisso und Schumann haben mit „Frauenliebe und Leben“ romantisch-melodienselige, selbstreflexive lyrische Betrachtungen über das treue Liebesleben einer Frau geschaffen, vom ersten Kribbeln im Bauch bis zum Verlust des Lebenspartners. Das Geheimnis des Erfolgs dieser sensitiv in Musik gegossenen Lyrik besteht weit über die Vorstellungen vom idealtypischen Liebesleben einer Frau im 19. Jahrhundert genau darin, dass damit geschlechtsunabhängig universelle Gefühle und emotionale Sehnsüchte angesprochen werden, die die meisten von uns im Laufe eines Lebens auch heute noch erfahren: Verliebtsein, gegenseitiges Ja Sagen, Auf und Abs, Trennung, wodurch auch immer.
Selbstverständlich wissen auch Männer um die freudige Erregtheit, die Träumereien und Projektionen, die Ängste und Stimmungsschwankungen, die mit dem Thema Liebe einhergehen. Und natürlich haben sich auch Dichter wie Komponisten genau dieser Gefühlslagen aus Mannessicht angenommen und wunderbare Kunstwerke daraus destilliert. Als einer der ersten war es Ludwig van Beethoven, der mit dem Zyklus „An die ferne Geliebte“, Op. 98, nach Worten von Alois Jeitteles nicht nur schwärmend von Sehnen und Verlangen, lustvollen Scherzen und Bächen von Tränen singt, er heizte mit diesem grandiosen Kunstwerk auch die Spekulationen darüber an, wer denn die ‚unsterbliche‘ Adressatin dieser Gesänge hätte sein können.
Noch vor der „Frauenliebe“ hat Robert Schumann mit der „Dichterliebe“ (1840) einen der schönsten Liedzyklen der gesamten romantischen Musikliteratur geschaffen. Nach bisweilen leicht abgewandelten Gedichten von Heinrich Heine fasste Schumann 16 Lieder zu diesem Reigen zusammen. Da ist von Frühlingserwachen und Erblühen der Gefühle die Rede, Momenten tiefster Intimität, Erinnerungen, Überhöhungen der Geliebten, Unruhe, bitterem Groll und schmerzlichem Verlust.
Wie bei Schumann hat der Hörer auch bei den sechs ausgewählten Liedern von Johannes Brahms nach Texten von August von Platen und Georg Friedrich Daumer (‚Wie bist du, meine Königin‘, ‚Unbewegte laue Luft‘, ‚Dein blaues Auge‘, ‚Die Mainacht‘, ‚Nicht mehr zu Dir zu gehen‘, ‚O wüsst‘ ich doch den Weg zurück‘) das Gefühl, dass der Komponist aus eigener Erfahrung genau wusste, wovon er erzählte. Wonnen heißer Begierden, aber auch dunklere Schatten, einsame Tränen, Lebensüberdruss sowie ein Weg zurück ins Kinderland werden hier besungen und in betörenden Wohllaut gehüllt.
Wie schon bei seiner Liedplatte „Nicht Wiedersehen!“ (ebenfalls bei Gramola erschienen), wo Groissböck als Raritäten neben bekannten Nummern von Mahler und R. Strauss Hans Rott Lieder einspielte, hat der Bassist diesmal drei Lieder des Jubilars Anton Bruckner ins Programm genommen. ‚Mein Herz und deine Stimme‘ (August von Platen), ‚Im April‘ (Emanuel Geibel) und ‚Herbstkummer‘ (Matthias Jacob Schleiden) öffnen als Bruckners intimere musikalische Schöpfungen ein wenig camoufliert das Tor zu dessen Seelenleben. Es handelt sich um überraschend leichtgängige lyrische Gesänge, wo Bruckner als Melodienerfinder bewundert werden kann.
Bekanntlich werden Lieder romantischer Provenienz, was männliche Interpreten anlangt, am häufigsten von Tenören und Baritonstimmen gesungen. Natürlich haben auch berühmte Bässe, vor allem der Vergangenheit, deutsche Kunstlieder gesungen. Als Beispiele möchte ich Walter Berry, Kurt Moll, Gottlob Frick, Josef Greindl oder Robert Holl nennen. Nun ist Günther Groissböck der prominenteste Vertreter einer Stimmgattung, die gleichermaßen stilsicher die Genres Oper, Konzert als auch Lied bedienen können. Sein unverwechselbares Timbre und die sonore Stimmfülle prädestinieren ihn besonders als genuinen Opernsänger mit besonderem Schwerpunkt für die Musikdramen Richard Wagners. Er hat auf Tonträgern bereits mit den Alben „HerzTod“ und „Winterreise/Schwanengesang“ bei Decca (beide mit Gerold Huber als Partner am Flügel) als exzellenter Liedgestalter von sich reden gemacht. Ich finde, Groissböck hat nun mit differenzierter eingesetzter Dynamik, leiseren Tönen (hören sie die drei fantastischen Bruckner Lieder) und einer ausbalancierteren Wort-Ton Gestaltung eine noch intensivere Versenkung in den lyrischen Gehalt von Lyrik und Musik erreichen können. Um die Textverständlichkeit war es ohnedies stets bestens bestellt.
Malcolm Martineau begleitet den Sänger dezent und mit großem Differenzierungsvermögen am Klavier.
Groissböcks bisher bestes und ausdrucksstärkstes Lied-Album!
Dr. Ingobert Waltenberger