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CD MADEMOISELLE DUVAL: LES GÉNIES ou Les Caractères de L’Amour – Opéra-ballet mit dem Ensemble Il Caravaggio unter der Leitung von Camille Delaforge; Château der Versailles Spectacles

14.02.2024 | cd

CD MADEMOISELLE DUVAL: LES GÉNIES ou Les Caractères de L’Amour – Opéra-ballet mit dem Ensemble Il Caravaggio unter der Leitung von Camille Delaforge; Château der Versailles Spectacles

Weltersteinspielung

poll

Sängerin, Cembalistin, Komponistin, all das war die musikalische Allrounderin Demoiselle Duval. Als zweite Komponistin nach Elisabeth Jacquet de la Guerre überhaupt, wurde ihr Opéra-ballet Les Génies“ an der Pariser Académie Royale de Musique uraufgeführt. Der Vorname ist in den Tiefen der Geschichte versunken. Überhaupt sind nur wenige biografische Details bekannt: 

Sie war die ältere Tochter einer Ballerina und des Erzbischofs Cornelio Bentivoglio. Noch bevor die 22-jährige ihre einzige Oper vollendete, war die frischgebackene Choristin an der Oper in einen veritablen Skandal verwickelt: Operndirektor Gruer, Generalinspekteur Campra und die Sängerinnen Pélissier und die Duval begingen einen gemeinsamen Abend mit viel Alkohol. Es gab zwar noch keine allgegenwärtigen Händys im Raum, aber durch das offene Fenster wurde von sittentreu-anzeigeerstattenden nachbarlichen Augenzeugen berichtet, dass sich die Damen völlig entkleideten und die Herren sie beäugten und begraptschen. Für die Duval zog diese Szene wahrscheinlich den frühen Abschied von der Oper mit nur 17 Jahren nach sich. In der Folge trat sie in Grenoble und Lyon auf, kehrte mit 37 für drei Jahre an die Pariser Oper zurück, bevor sie wieder (angeblich wegen Unzuverlässigkeit) gefeuert wurde.   

„Les Génies“, dem Prinzen von Carignan, seit 1730 Generalinspektor der Oper, gewidmet, gehört der Gattung der Opéra-ballets an, die im frühen 18. Jahrhundert in Paris à la mode war. Wie andere Librettisten entwarf auch Jacques Fleury Prolog samt verschiedener Akte, die ein bestimmtes Thema in loser inhaltlicher Kohärenz näher abhandeln. Das heißt, die Akte mit Chören, Arien und Tänzen weisen verschiedene Inhalte und Protagonisten aus, die mit Vorliebe „kontrastierende poetische und musikalische Tonalitäten annehmen“. (Benoît Dtrawicki). 

Weniger düster und wuchtig als die Tragédies, wurden kürzere dreiaktige Ballets mit Vorliebe im Sommer gespielt, in der Wintersaison umfassten diese „Ballette“ einen Prolog und vier Akte, gleichwie „Les Génies“, die Mitte Oktober uraufgeführt wurden. Drapiert rund um die vier Elemente Wasser, Erde, Feuer, Luft treiben vier Genien ihr vielseitiges Liebes(un)wesen: Die Nymphen (l‘amour indiscret), die Gnome (l‘amour ambitieux), die Salamander (l‘amour violent) und die Sylphen (l’amour léger) führen uns vor, welche Spielarten der Liebe mit welchen Praktiken und Exzessen einhergehen.

Die Musik, die mit den Tücken eines schwachen Textbuches zu kämpfen hatte, entspricht in den virtuosen Arien und den geschmeidigen Melodien den Gepflogenheiten der Zeit und ist von Anlage und Duktus her eher der damals  konservativen Sphäre zuzurechnen. Also folgt die Musik eher Campra, Mouret oder Lully als Rameau. Obwohl bei der Uraufführung die ersten damals verfügbaren Kräfte der Oper inklusive Jean-Féry Rebel als musikalischem Leiter zur Verfügung standen und die Komponistin selbst am Cembalo wirkte, hielt sich der Erfolg mit nur neun Vorstellungen in überschaubaren Grenzen.

Die Ausgabe der Partitur war unvollständig, daher „mussten die fehlenden Partien der Hautes-contres und der Tailles de violon im Orchester sowie der in den Chören gesungenen Haute-contre und Taille-Stimmen nachkomponiert“ werden (Dratwicki). Dabei dienten die Kompositionsweise von Zeitgenossen, aber auch die Stimmführung, die aus den Diskant- und Bassstimmen erwächst, als Leitfaden.

Camille Delaforge, Dirigentin, Cembalistin und Gesangspädagogin, wurde bei „Les Génies“ im Centre de musique baroque de Versailles fündig. Sie schwärmt von der Subtilität und der technischen Versiertheit der Musik. Mit ihrem auf historischen Instrumenten spielenden Ensemble „Il Caravaggio“, wie der berühmte malende Schirmherr den Tugenden der Theatralik, Ausdruckskraft und Spiritualität verpflichtet, und einem vorzüglichen Gesangsensemble gelingt eine vitale, vokal bewegliche und instrumental forsche bis detailverliebte Wiedergabe. 

Ob amouröse Eskapaden von schönen Nymphen oder des Königs der Gnomen Adolphe, ob fürchterliche Eifersuchtsszenen und Brandstiftung im Palast von Numapire bzw. die erträgliche Leichtigkeit von Partnerwechseln bei den Sylphen und Sylphiden, stets untermauern die Interpreten die Originalität und Imaginationskraft der melodisch-metrischen Eingebungen der Komponistin. Marie Perbost (Lucile, Zaire, Isménide, Florise), Florie Valiquette (Amour, Zamide, Sylphide), Anna Reinhold (La principale Nymphe, Pircaride), Cecile Achille (L’Africaine, Nymphe), Etienne de Bénazé (Léandre), Paco Garcia (Indien, Sylphe), Guilhelm Worms (Zoroastre, Numapire) und Matthieu Walendzik (Zerbin, Adfolphe) bilden ein Ensemble wie aus einem Guss, stilistisch auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnisse, stimmschön und lustvoll all diesen Liebesirrungen und -wirrungen auf der Spur.

Auch die wenigen Komponistinnen hatten es im opernverliebten Frankreich des 18. Jahrhunderts drauf. Und wie! Hören Sie selbst.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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