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CD „MADE FOR OPERA“ – NADINE SIERRA singt Arien und Szenen aus „LA TRAVIATA“, „LUCIA DI LAMMERMOOR“ und „ROMÉO ET JULIETTE“; Deutsche Grammophon

16.02.2022 | cd

CD „MADE FOR OPERA“ – NADINE SIERRA singt Arien und Szenen aus „LA TRAVIATA“, „LUCIA DI LAMMERMOOR“ und „ROMÉO ET JULIETTE“; Deutsche Grammophon

Roederer Cristal im schlappen Pappbecher serviert

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Das nenn ich mir Mut. Sie hat alles, was für die nicht nur den Noten nach so anspruchsvollen Titelpartien von Verdis „La Traviata“ und Donizettis „Lucia di Lammermoor“ gebraucht wird. Die US-amerikanische lyrische Koloratursopranistin Nadine Sierra verfügt – im Gegensatz zu etlichen zu Unrecht gehypten Dutzendsopranistinnen, deren Klang keine Sekunde lang haften bleibt – über ein memorables Luxustimbre mit Freni- und Scotto-Anklängen, eine fulminante Höhe und eine ausdrucksvoll nougatsüße und bernstein-karamellfarbene Mittellage. Sierra ist zudem eine enorm musikalische Künstlerin, die über ein Traumlegato und einen beachtlichen Mut zur interpretatorischen Eigenmarke wie vor ihr nur Joan Sutherland verfügt. Zwar trifft zweifelsohne das Caballé-Diktum über die Sutherland zu 100% zu, dass kein Mensch geschrieben hat, was da so an Koloraturen und Fiorituren gezwitschert wird. Aber was soll‘s. Das ist BelKanto, und die unglaublichen Achterbahn-Verzierungen, die sich Sierra mit ihrem Flötisten etwa in der Wahnsinnsarie der „Lucia“ ausgedacht hat, sind einfach atemberaubend und passen präzise zur seelischen Disposition des umständehalber in der Hochzeitsnacht zur Gattenschlachterin gewordenen Mädchens.

Am besten liegen Sierra die Ausschnitte aus Gounod‘s „Roméo et Juliette“. Was diese Sopranistin in den Mittdreißigern wohl auf dem Höhepunkt ihres Könnens da mit ihrem zauberischen Stimmfarben an Charme, Lebenslust, verführerischer Leichtigkeit und Eleganz der Phrasierung aufs Parkett legt, schließt an einige der größten Gesangslegenden an. Auch Sierras Lucia mit den großen Soloszenen aus dem ersten und dritten Akt bewegen sich auf dieser schmalen Fallhöhe. Sierra findet nämlich als Lucia den goldenen Mittelweg zwischen betörendem Schöngesang, rein vokal artikuliertem Ausdruck und Individueller Schicksalserzählung, wie das halt jede in die Annalen eingegangene Sängerin der Partie vor ihr bislang mit Bravour vollbracht hat.

Bei der Szene aus dem ersten Akt von „La Traviata“ bleibt ein kleiner Erdenrest, zu sehr wünschte man sich zu dem makellosen Gesang ein wenig mehr an dunkler Verinnerlichung und vorausahnender Todeswehmut. Dieses Desideratum löst Sierra aber mit einem bewegenden „Addio, del passato“ wieder ein. 

Alles gut also? Nein! Das ganz große Ärgernis bei dieser so grandios gesungenen Solo-CD einer der besten lyrischen Sopranistinnen seit Jahrzehnten bildet das bestenfalls mittelmäßige Rundherum. Das stumpf matte Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai wird von Riccardo Frizza so langsam und spannungsarm dirigiert, das der Hörer manchmal fürchtet, dass der Zug einfach mitten in der Pampa stehen bleibt. Über die Leistung des Tenorpartners und Alfredo in „La Traviata“ wird überhaupt besser der Mantel des Schweigens gehüllt.  

Die nächste hoffentlich (sehr) rasch folgende Solo-CD mit dieser Prachtsopranistin wird hoffentlich mit adäquaten Partnern, das heißt mit einem der besten verfügbaren Orchester und Dirigenten realisiert. Das liegt nicht zuletzt in der künstlerischen Verantwortung des historisch so wichtigen und verantwortungsreichen Gelblabels, das Nadine Sierra unter Exklusivvertrag hält. 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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